[Achtung, Beginn erst 20.00!]
Man trägt wieder schwarz-rot-gold, hierzulande: in den Fenstern, am Auto, überm Herzen und im Suff. Das alles, weil es elf mäßig begabten Kickern trotz bekannter technischer und taktischer Defizite gelang, mit Kraft und Freude ins Halbfinale der Männer-Weltmeisterschaft vorzustoßen. Alle jubeln, dass man sich nun endlich zum Vaterland bekennen dürfe, auch wenn unklar bleibt, wann das je verboten gewesen wäre; und das Ganze nennt sich hochtrabend »Patriotismus-Debatte «, obwohl zu einer Debatte üblicherweise wenigstens zwei Meinungen gehören. In Sachen Fußball aber sprechen, besser: gröhlen alle mit einer Stimme, ob Proll oder Werbemanager, ob beim Fanfest, vorm Fernseher oder in der linken Szenekneipe, und feiern gemeinsam ihren Chef-Animateur Jürgen Klinsmann, den »Sepp Herberger der Spaßgesellschaft«. Deutschland ist wieder wer, Weltmeister in Sachen guter Laune nämlich, und braucht daher Miesmacher und »Bedenkenträger« (Kicker) nicht mehr zu ertragen.
Dass eine Fußball-WM nicht gerade ein Festival kritischer Reflexion bieten würde, sondern weltweit - anders noch als Vereinsfußball - die Massen zum zweifelhaften Vergnügen animiert, sich in die Kluft der Nation zu werfen, mit nicht immer ganz ungefährlichen Folgen für die Nichtdazugehörigen, steht außer Frage. Dass Deutschland dennoch immer ein besonders schwerer Fall bleiben wird, zeigt sich gerade dann, wenn sie, wie diesen Sommer, behaupten, doch nur zu tun, was alle tun: Was soll man von einem denken, der einem beim Feiern alle fünf Minuten verkündet, er sei echt total locker, entspannt und gut drauf?
Grund also, sich der Frage des deutschen Sonderwegs im Fußball zu widmen und dessen Rolle für den Gemütshaushalt der Nation zu analysieren. Gehen wird es dabei u.a. um: die Geschichte des Deutschen Fußballbundes, der immer etwas rechts von der Realität stand, und der von ihm transportierten völkischen Reinheitsvorstellungen; um das Phantasma der deutschen Tugenden von Fleiß, Kampfgeist und Siegeswillen, die den Spielern so lange eingebleut worden sind, bis wirklich keiner mehr ein Dribbling gehen oder gar eine Viererkette spielen konnte; um den sich in diesen Tugenden ausdrückenden verdrucksten Stolz auf die eigene Unzulänglichkeit und die damit verbundenen Ressentiments gegen ‚brotlose Künstler‘ und ‚satte Millionäre‘, gegen Geist und Geld; um den fest verwurzelten Sexismus und Homophobie, mit dem sogar erfolgreiche Fußballerinnen und wachsende Anhängerinnenzahlen ertragen werden, solange man es gemeinsam den effeminisierten Tottis und Beckhams anderer Länder zeigt; kurz: darum, warum Fußball doch zumindest um einiges schöner sein könnte, wenn die Deutschen nicht ständig alles kaputt machen würden.
DO., 03.08.06, 20 UHR
KARO ECKE, MARKTSTR. 92
REFERENT: LARS QUADFASEL
Terminhinweis: Am Sonntag, den 6. August, 16:00, wird in der Hamburger Studienbibliothek
(Hospitalstr. 85, Souterrain) der monatliche »Negative Nachmittag«
aus aktuellem Anlass zum Thema »Fahneneinigkeit« stattfinden. Fragestellung
ist, welche Auswirkungen das neue deutsche »schwarz-rot-geile« (Bild)
Selbstbewusstsein haben wird, wenn die WM-Aufregung wieder abgeklungen sein
wird. Interessierte sind herzlich zu Kaffee, Keks und Diskussion eingeladen.