Die Verleihung des diesjährigen Adorno-Preises der Stadt Frankfurt an die Ikone der ›Queer‹-Bewegung, Judith Butler, hat zu einigen Protesten Anlass gegeben. Butlers Unterstützung für antiisraelische Boykottkampagnen und ihre Nobilitierung von Hamas und Hisbollah als »Teil der globalen Linken« widersprechen allzu deutlich all dem, wofür der Namensgeber des Preises zeit seines Lebens einstand. Butlers Fürsprecher verlegten sich daher gerne auf die Formel, man dürfe über ihre politischen Dummheiten doch nicht ihre brillante Philosophie übersehen. Es wird daher auf der Veranstaltung darum gehen, den grundlegend affirmativen Zug der als so radikal gefeierten Gender-Theorie und Moralphilosophie Butlers darzulegen – zu welcher die antizionistischen Ausfälle eben passen wie die Faust aufs Auge.
Zu zeigen wird im einzelnen sein,
- dass die so populär gewordene Vorstellung, das menschliche Natursubstrat sei nichts als ›diskursiv konstruiert‹, d.h. rein durch Sprache erschaffen, eine groteske Neuauflage des alten bürgerlichen Idealismus darstellt – eines Idealismus allerdings, dessen (nunmehr als »Gesetz«, »Norm« oder »Diskurs« fungierender) Geist so allmächtig wie geistlos ist;
- dass die queere Subversion der Geschlechtsidentitäten exakt der Logik des Kapitals folgt, unter dessen Herrschaft längst auch von Frauen mannhaftes Durchsetzungsvermögen und von Männern ›weibliche Tugenden‹ (Empathie, Teamfähigkeit, Kommunikationskompetenz) gefordert werden – wodurch statt Emanzipation vom Zwangscharakter dessen Flexibilisierung betrieben wird;
- dass die »Dekonstruktion« von Körper und Geschlecht daher bloß nachvollzieht, dass den Menschen ihre eigene Leiblichkeit mehr und mehr zum Störfaktor mutiert – und zugleich, in der Verleugnung des menschlichen Natursubstrats, exakt das dem kritischen Blick entzieht, was die Menschen der Herrschaft so gefügig macht: das Ineinander von Gesellschaft und Leib, erster und zweiter Natur, in Gestalt von Entbehrung, Schmerz und Leid;
- dass Butlers Strategie, lieber von Performanz und Diskurs zu reden statt von Hunger und Ausbeutung, von Vergewaltigung, Folter und Massenmord, daher nicht nur, zur Freude ihrer akademischen Anhängerschaft, die Spießerweisheit bestätigt, Worte seien mächtiger als Waffen – sondern vielmehr auch systematisch das Grauen verharmlosen und verniedlichen muss, das Menschen tagtäglich angetan wird;
- dass in der postmodernen Puppenstubenidylle, als welche die Welt in der Butler'schen Theorie erscheint, nichts vorkommen kann, was nicht durch ein bisschen Treu und Redlichkeit wieder ins Lot zu bringen wäre – nicht Auschwitz also, die vollendete Barbarei, und auch nicht diejenigen Kräfte, die heute das Werk des Vernichtungsantisemitismus fortzuführen und zu vollenden trachten;
- dass also Butlers Gedankenwelt weder (wie von ihren linksradikalen Adepten behauptet) revolutionär noch (wie von ihr selbst intendiert) reformistisch ist, sondern schlicht die zeitgemäße Ideologie des akademischen Kleinbürgertums: die Einladung zum bedingslosen Mitmachen, ohne je selber dafür Verantwortung übernehmen zu müssen.
Mittwoch, 31.10.2012, 19.30 Uhr, im Gängeviertel (Valentinskamp 32–39).
Es referiert Lars Quadfasel (Hamburger Studienbibliothek).