Hamburger Studienbibliothek


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Das hier dokumentierte Flugblatt ist Anfang Juni 2003 zu Richlings Auftritten in den Hamburger Kammerspielen geschrieben worden und sollte dort verteilt werden. Leider ist es nicht dazu gekommen.

Den Auftritten Richlings war ein Interview in der Hamburger Morgenpost vorausgegangen, in dem Richlings antisemitischer "starker Tobak" noch einmal vorneweg einem größeren Publikum nahegebracht wurde.

Dass Richling auch dieses Jahr wieder in Hamburg - und sicherlich auch in anderen Städten - auftritt und dass die vermeintliche "Friedman-Parodie" möglicherweise noch im Programm Richlings vorkommt, nehmen wir zum Anlass dieses Flugblatt hier zu veröffentlichen, auch wenn uns schlechtes Kabarett eigentlich eher nicht interessiert.

Hep hep Richling!

Über den Antisemitismus der guten Laune

Kennen Sie den schon: Wieviel Juden passen in einen VW Käfer? Zwei vorne, zwei hinten und sechs Millionen in den Aschenbecher! - Finden Sie nicht lustig? Nicht mal ein kleines bisschen? Warum sind Sie dann hier?

Die Veranstalter hatten die Auftritte Mathias Richlings in den Kammerspielen bereits wie eine Drohung angekündigt: Der Kabarettist werde - ausgerechnet in jenem Gebäude, das bis 1942 den Jüdischen Kulturbund beherbergte und anschließend als Sammelplatz für die Deportationen diente - den Antisemitismus von einer "radikal neuen Seite" beleuchten. Wie konformistisch abgestanden das radikal Neue, das er von sich zu geben gedachte, tatsächlich ist, verriet Richling der Hamburger Morgenpost schon vorab in einem Interview vom 23. Mai. Dort erklärt er zu seiner "Friedman-Parodie", die der Interviewer kumpelhaft "harten Tobak" nennt: "Wenn es in der Szene darin gipfelt, dass Möllemann sagt, 'Sie sind Jude', und Friedman sagt, 'das ist eine klare antisemitische Äußerung', dann ist - wenn auch komprimiert - genau das Herr Friedman. Natürlich darf man Möllemann keinesfalls in Schutz nehmen. Tatsache ist, wenn man Friedman wirklich nur persönlich kritisiert, überträgt er das sofort auf seine Funktion als Vizevorsitzender des Zentralrats der Juden - er liebt es einfach, die Schuldgefühle anderer gegenüber den Juden zu schüren. Aber das Dritte Reich war ja viel mehr - es sind auch andere verfolgt worden: Schwule, Kommunisten usw. - aber das wird gerne außer Acht gelassen."

Wir gestehen gerne zu: Wir kennen weder die DVD, die diesen Sketch enthält, noch haben wir die geringste Lust, den Rest des Richlingschen Programms kennen zu lernen, um uns ein, wie es so schön heißt, ausgewogenes Urteil erlauben zu können. Uns ist es egal, ob Herr Richling sich ansonsten so klug und unbestechlich gibt, daß ein antisemitisches Statement ihm einfach nachgesehen werden muss. Natürlich wissen wir, dass Richling, während er ihm in der Sache Recht gibt, seine verschwiemelte Distanzierung von Möllemann eingestreut hat, um kund zu tun, er gehöre nun wirklich nicht zu solchen, die man guten Gewissens Antisemit nennen darf. Nur kennt jeder Verkehrspolizist das Phänomen: sturzbetrunkene Autofahrer, die lallend versichern, sie wären vollkommen nüchtern. So ähnlich, fasste Henryk Broder treffend die FDP-Friedman-Debatte zusammen, verhält es sich mit dem Antisemitismus: Ob einer Antisemit sei oder nicht, sei keine Frage der Selbsteinschätzung.

Gerade weil die skizzierte Passage ohne Witz ist, spekuliert sie auf den antisemitischen Lacher. Ausgedrückt werden soll in etwa wohl: Friedman, die Mimose mit Kalkül, schlägt selbst dann mit der Auschwitzkeule um sich, wenn unbestreitbare Wahrheiten übers Jüdischsein zur Sprache kommen. Nur ist es schon mit der Harmlosigkeit der Aussage: "Sie sind Jude" nicht weit her. Vom früheren Wiener Bürgermeister Lueger, einem großen Antisemiten vor dem Herrn, stammt der Satz, "wer Jude ist, bestimme ich"; und nicht wenige erfuhren erst durch die Nürnberger Rassengesetze, welche Art Mensch sie sind. Wenn Deutsche - in aller Unschuld, versteht sich - dazu übergehen, frisch, fromm, fröhlich, frei die Tatsache festzuhalten, dass ihr Gegenüber Jude sei, hat das immer schon den Beiklang, der Sortierte möge wissen, wo er hingehört. Nicht allzu lange ist es her, dass ein Rostocker Ratsherr Ignatz Bubis auf sein israelisches Heimatland hinwies, und in dessen letzten Lebensjahren ließ man es ihn von allen Seiten büßen, dass er der Aufforderung zur Deportation nicht freiwillig nachgekommen ist.

Friedman verhält sich in dieser Situation wie der Angeklagte im jüdischen Witz. Die Frage des Richters, ob er Jude sei, bejaht dieser selbstbewusst, und auf die Nachfrage, ob er darauf etwa auch noch stolz sei, antwortet er, "wäre ich nicht stolz, wäre ich auch Jude. Bin ich lieber gleich stolz." Dass Friedman sich zu dem bekennt, was seine gojischen Landsleute ohnehin in ihm sehen, erleichtert einem wie Richling das Geschäft, wenngleich es ihm den Spaß verdirbt (auf das Outing als Jude hätte, das weiß jeder, der stellvertretende Vorsitzende des Zentralrats der deutschen Juden nur mit amüsiertem Achselzucken reagiert - weswegen der Sketch außer den Autor auch niemanden zur Kenntlichkeit entstellt). Endlich hat er einen, den er ohne Skrupel dingfest machen kann. "Genau das" ist "Herr Friedman": ein Jude, dem er Auschwitz nicht zu verzeihen braucht. Bloß weil da einer, der allein als ergebenes Opfer geduldet wäre, nicht mehr mitspielt, lassen sich die Deutschen ihr Liebstes, die Nation, noch lange nicht madig machen; also muss der Spielverderber selber Dreck am Stecken haben. Als hätte Möllemann einem Kumpel die Meinung gegeigt und nicht einen Kontrahenten wegen der Art und Weise angegriffen, wie der seine Funktion (als Vertreter des Zentralrats wie als Liberalitätsjude der deutschen Kulturindustrie) wahrnimmt, führt der Enthüllungskabarettist Richling die verschwurbelte Trennung zwischen Vorwürfen ein, die Friedman "persönlich" und solchen, die ihm in seinem Amt gälten. Wer das gezielt vermischt, wissen die politisch engagierten Zuschauer, betreibt Machtmissbrauch, und das Motiv ist schnell benannt. So einer "liebt es einfach, die Schuldgefühle anderer gegenüber den Juden weiter zu schüren." Irgendeinen Vorteil wird er davon schon haben, denn die Juden, so viel steht fest, schlagen aus allem Kapital. Im Zweifelsfall wollen sie, wo sie doch zu Pessach schon unsere Kinder nicht mehr schächten dürfen, wenigstens irgendeiner Perversion frönen, Hauptsache, uns tut es weh.

Dass es gegen Herrn Friedman nicht als unmanierlichen Einzelnen, sondern als Repräsentanten einer unmanierlichen Rasse geht, daran lässt Richling selber keinen Zweifel. Gegen das Schüren von Schuldgefühlen hat er, ausgerechnet, einzuwenden, dass auch "Schwule, Kommunisten und so weiter" der deutschen Barbarei zum Opfer gefallen sind. Das entlastet fraglos die Schlächter. Ohne Sinn und Verstand, aber mit sicherem Instinkt wird nicht Friedman persönlich, sondern den Juden insgesamt vorgerechnet, sie seien nicht die einzigen gewesen, die es schwer gehabt haben, und sollten sich also nicht so anstellen. Ohne Hierarchie unter den Verfolgten geht es für einen ordentlichen Deutschen nicht, weshalb schon die SS ihre Lebensmittelrationen minutiös nach dem Grad der Untermenschlichkeit bemaß. Richling freilich gewichtet anders; mit der großen Geste des Aufklärers streicht er genau die als besonders zu beachtende Opfer heraus, die zur Verfolgung auszuwählen gerade keinen Unterschied zwischen Deutschland und anderen Ländern markiert. Eine abweichende politische oder sexuelle Orientierung, wie sie seit alters her von modernen Nationalstaaten bekämpft wird (wenn auch kaum je mit dem gleichen Vernichtungsdrang wie im Nationlasozialismus), kann verleugnet werden; nur die Juden aber wurden als nichts denn als Objekt der totalen Vernichtung identifiziert, und nur deutsche Gründlichkeit vermochte sie noch im letzten Winkel Europas aufzuspüren und zu vernichten. Die zwanghafte Assoziation anderer Opfer, wenn vom Schicksal der Juden die Rede ist, endet hierzulande stets wie in der Neuen Wache, dem 'Mahnmal für die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft': in der Einebnung der Differenz zwischen Mördern und Gemordeten. Vorbereitet wird die abgefeimte Lüge im naiven Gestus wie dem Richlings, jedes Leid müsse gleich zählen. Auch der KZ-Wachmann, der seinen Finger in der Tür zur Gaskammer einklemmte, hat schließlich ein Ach und ein Weh zu beklagen.

Wenn Richling spricht, spricht nicht eigentlich er, sondern das nationale Es aus ihm. Das "Dritte Reich" sei "ja viel mehr" gewesen als bloß Judenvernichtung; das finden die Landsleute seit 1945. So tönt das Mitglied einer selbstbewussten Nation, das sich mit dem verdrucksten Stolz auf die "Singularität des Holocausts", die uns so schnell keiner nachmacht, nicht begnügen will. Solch eine Plauderei über die Opfer, deren tatsächliches Schicksal einem so gleichgültig ist, wie das bürokratische "und so weiter" es ausdrückt, muss man sich erst einmal leisten können. Weil das Leugnen eh nicht hilft, wird unter rot-grün mit dem Geschwätz deutsche Identität gestiftet. Einer wie Richling kommt da gerade recht; angesichts seiner Erinnerung an die sonstigen Verfolgungsleistungen der Deutschen fehlt nicht viel zum alten Witz über die Alternativen: Hitler war schon in Ordnung, nur das mit den Autobahnen hätte er bleiben lassen sollen. Seien wir doch mal ehrlich, so ehrlich, wie es sich für einen Kerl gehört, der den aufrechten Gang pflegt: Kein Friedman könnte einem noch Extrawürste abverlangen, hätten die Nazis nur ihr Vernichtungswerk konsequent genug zu Ende geführt.

Der Ort für solche Wahrheiten, die einstweilen bloß durch die Blume, aber für alle, die es hören wollen, verständlich ausgesprochen werden können, ist nicht zufällig das Kabarett. Hier übte sich immer schon das Mitmachen, kritisch drapiert. Wer zu Hildebrandt, Hüsch und Konsorten ging, hatte genug zu verlieren, um lieber zur Kleinkunstbühne als auf die Barrikaden zu gehen; dort strich man den Mehrwert ein, sich Helmut Kohl ebenso überlegen zu fühlen wie den verbiesterten Marxisten von anno dunnemals. So unbequem waren die Heroen, dass sie bisweilen jahrelang ohne Bundesverdienstkreuz auskommen mussten. An Witz und Prägnanz konnten sie es, wenn sie Missstände anprangerten, beinahe mit den Karikaturisten der deutschen Regierungspresse von FAZ, SZ und FR aufnehmen; denn Kabarettisten hatten das Vorurteil gegen die da oben zu bedienen, ohne von der Herrschaft zu reden, an der die linken Spießer längst teilhatten. In solcher Atmosphäre gedieh das Ressentiment. Man sprach aus, was jeder dachte, aber immer wieder gern von anderen hörte, und kam sich am subversivsten vor, wenn man die größte Mehrheit hinter sich hatte. Mut, der nichts kostet, misst sich an Gegnern, die keine sind: Kein Wunder, dass man auf die fremden Mächte verfiel, von denen man sich den Mund nicht verbieten lassen wollte (auch Richling hat, wie 83% der Deutschen, seine ganz eigene dissidente Meinung zum Irakkrieg). Wo tagtäglich sämtliche Stammtische, Zeitungen und Parteien tun, was Deutsche, ihrem Gejammer zufolge, gar nicht dürfen: ungestraft über Israel und die Juden herziehen, wollen auch die Spaßvögel nicht abseits stehen. Ihre Pfiffigsten verkünden gar, es müsse doch im Interesse der Juden selber sein, wenn über sie endlich gelacht werden würde wie über jeden anderen auch - als hätte der deutsche Humor dabei je irgend etwas anderes hervorgebracht als Judenwitze wie den eingangs zitierten; als wäre seit den Hep-Hep-Unruhen des 19. Jahrhunderts nicht klargestellt, welchen Spaß die Landsleute mit den Juden verstehen. Wenn also heute Abend einer der arriviertesten deutschen Kabarettisten den Walser machen und sein Publikum von der undemokratischen Unterdrückung durch Vernunft, Gewissen und zivilisatorische Standards befreien will, mag uns nachgesehen werden, wenn wir dabei nicht noch viel Vergnügen wünschen.


Die Internationale -
ertönen, erdröhnen soll sie,
wenn der letzte Antisemit, den sie trägt, diese Erde,
im Grab ist, für immer.
(Evgenij Evtuschenko, "Babi Jar")