Hamburger Studienbibliothek


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Rede auf der Kundgebung zum Ende der Wehrmachtsaustellung 27.03.2004

“Belsen was a gas / I heard the other day / At the open grave / Where the Jews all lay //

Life is fun / Death is near / Writing postcards / Oh my dear!”

(Sex Pistols, “Belsen Was a Gas”, LP “The Great Rock’n’Roll Swindle”, 1979)

Was wir gut können, ist das herrschende Gedenkspektakel in Bezug auf dessen Zwecke zu denunzieren, die Funktion der Geschichtspolitik für deutsches Großmachtstreben etwa - so gut sogar, dass Neues kaum noch einfallen will. Nur drohen die zunehmend routinierteren Analysen den eigentlich Skandal zu überdecken: dass schon alles Notwendige gesagt ist, ohne dass sich etwas ändert; dass man das komplett Widervernünftige nicht vernünftig begreifen kann, ohne es zu rationalisieren; dass es möglich ist, Bescheid zu wissen, und dennoch weiter zu leben wie bisher. Genau das wird im deutschen Vergangenheitsspektakel eingeübt: Auf der Wehrmachtsausstellung die Verbrechen zu dokumentieren, ohne anzuklagen, und sie zu betrachten, ohne auf die Entschädigung zu drängen, die den Opfern, wie im Falle des Massakers von Distomo, stets noch vorenthalten wird.

Dem Nationalsozialismus gegenüber ist die Kritikerin ohnehin in den Stand des Positivisten versetzt. Es liegt alles bereits an der Oberfläche, in den Fakten vollständig vor: Die Brutalität, die Kälte, der Schrecken, die sonst dialektisch gegen den Schein herauspräpariert werden müssen, wurden und werden von den Tätern vor aller Augen ausgestellt - und gerade deshalb durch geduldiges Argumentieren nur verschleiert. Das erste und einzige Argument gegen Ressentiments, die mit Rassismus, Antisemitismus, Faschismus kompatibel sind, heißt daher: Das läuft auf Vernichtung hinaus; und wer davon nicht bis in alle Fasern des Leibes affiziert wird, mit allen Konsequenzen, ist eigentlich schon verloren. Eine Welt aber, die sich von Auschwitz nicht dazu hat bewegen lassen, sich zu verändern, betreibt zwangsläufig, schweigend wie schwafelnd, dessen nachträgliche Legitimation - zuvörderst natürlich jener Teil der Welt, der sich noch immer Deutschland nennt.

Im Schweigen von einst steckt jedoch, negativ, immerhin noch eine Wahrheit: dass es Worte geben könnte, welche die Deutschen ins Herz zu treffen und ihren sinnlosen Zusammenhalt, von dem niemand etwas hat als sinnlose Herrschaft und sinnlose Unterwerfung, zu unterminieren vermöchten. Das aktuelle Geschwätz von Knopp und vom Hamburger Institut für Sozialforschung jedoch, aus dem nichts folgt und auch nichts folgen soll, zeigt hingegen an, dass man das sich leisten kann, ohne Recht und Rache noch fürchten zu müssen; dass Vernunft, Wahrheit, Humanität keine Geltung mehr besitzen.

Die Kritikerin wird damit, ob sie will oder nicht, ins nationale Gespräch integriert. Schon um überhaupt Gehör zu finden, ist sie, wie am heutigen Tag, auf Anlässe wie die Wehrmachtsausstellung angewiesen. Diese Demütigung bestätigt und vollendet nur die Demütigung, die dem Subjekt von jener Vergangenheit aufgeherrscht wird, die Vernunft und Verantwortung, Subjektivität also, unwiderruflich abgeschafft hat. Zugleich aber bietet das Vergangenheitsspektakel Kompensation für die Ohnmacht als Subjekt: die Teilhabe am falschen Wir, die Wendung all der Verachtung, die das Subjekt angesichts seines Zustandes für sich empfinden müsste, gegen all die, die die Reibungslosigkeit des nationalen Diskurses zu stören drohen - gegen die Opfer und ihren Staat, Israel.

Wer das nicht will, sollte sich in der Ohnmacht auch anderweitig nicht einrichten, ob auf dem Antifa-Wochenendvergnügen, beim Schattenboxen auf imaginären Feldherrenhügeln oder durch Kitsch um eine blau-weiße Fahne, welcher der Verteidigung der israelischen Sache kein bisschen hilft. Stattdessen wäre gerade in der eigenen Ohnmacht eine vernichtende Wahrheit über die Verhältnisse zu begreifen; wäre in dem Ekel dagegen, in einer Welt mitzumachen, sie auch nur zu verstehen, um sich verständlich machen zu können - wäre in all dem die objektive Sinnlosigkeit der Gesellschaft zu erkennen, die keinen anderen Bezug zu ihr ermöglicht als bloß genau die Bezugslosigkeit, in die sie die Kritikerin, die bei Vernunft bleiben will und genau darüber verrückt werden muss, versetzt.

Denn dies ist, stets und bis zum revolutionären Widerruf, die Welt von Auschwitz; gerade dessen Integration ins ansprechende Kulturevent, die offensichtliche Unangemessenheit des Settings etwa der Wehrmachtsausstellung oder der Geschichtsshows im Fernsehen, beweist das. Heute abend findet, nur zum Beispiel, zum Abschluss des begleitenden Programms des Hamburger Instituts für Sozialforschung, ein Konzert statt, das die Musik von “Zeitzeugen” - wie das HIS die verfolgten und ermordeten Komponisten nennt - präsentieren soll, und man wird, beflügelt von Gesinnung und Genuss, in bester gehobener Stimmung wieder nach Hause gehen. “Viktor Ullmann gehört zu jener Gruppe von Komponisten, die im Lager Theresienstadt für eine vielfältige Musikkultur sorgten; hier entstand sein 3. Streichquartett”, heißt es in der Ankündigung - wie schön, dass unter den vergasten Juden so manch begabter Künstler sich befand; welch gute Gelegenheit für schicke Abendgarderobe! - Solch Spektakel macht sich die Vernichtung gerade als Fremdes, Inkommensurables zum Bestandteil, als Pikanterie, als anspruchsvollen Sinnenreiz aus einer anderen Zeit. Nur war auch Auschwitz schon in Kultur eingebettet, von den Goethe lesenden Wärtern bis zu den Theateraufführungen der Häftlinge, die bald darauf ermordet wurden; eingebettet auch in Alltag und Routine, in den sich zwischen Lieben, Streiten, Feiern und Langweilen die Vernichtung mischte. Das hätte dem Alltag, der Kultur den Garaus machen müssen; stattdessen haben sie noch einmal den Mord eingemeindet. Wie Kannibalen laben und stärken sie sich am Geist der Toten. Wer, statt zu kotzen, vor den Fotos der von deutschen Soldaten Abgeschlachteten sein Gläschen Sekt trinkt und den Honoratioren seine Aufwartung macht, wird tatsächlich stark: Stark genug, auch die Eingekerkerten in Knästen und Psychiatrien, die in Folter und Elend Abgeschobenen, die Verhungerten der Dritten Welt zu ertragen; umso mehr, als ihr Schicksal zwangsläufig in den Farben von Auschwitz, Treblinka und Bergen-Belsen getönt erscheint, weil es für dieses Schicksal ebensowenig Gründe gibt und daher ebensoviel Grund existiert, lieber ihren als den eigenen Untergang zu wünschen. Ohne die Fähigkeit, ungerührt vom Leid anderer das eigene Leben durchzubringen, überlebte im Spätkapitalismus keiner. Dass das, nach allem menschlichen Ermessen, ein glückliches Leben verwehrt, ist, die Verwendung des Adjektivs “menschlich” zeigt es an, ein äußerst schwacher Grund für Hoffnung.

Ceterum censemus Germaniam esse delendam.

Hamburger Studienbibliothek,

27. März 2004