Sind das noch Linke? – Zweifellos!
Voraussetzungen
und vorläufige Ergebnisse eines deutschen Herbstes
Wenn
Linke aufgrund des von ihnen vertretenen Antizionismus mit Antisemitismus in
Verbindung gebracht werden – welche Art von Linken von wem und auf welche Weise
auch immer –, dann fassen sie das (zu Recht) als Vorwurf auf. Sie neigen dann
bekanntlich nicht sehr dazu, die normalerweise mitgelieferten Begründungen zur
Kenntnis zu nehmen. Üblicherweise ziehen sie es vor, auf Fragen zu antworten,
die niemand gestellt hat, und es gehört zum Wesen linker
Antisemitismusskandale, dass diese Antworten mindestens ebenso aufschlussreich
sind wie das, was den Vorwurf provoziert hat. Der Fall des
Hinterhof-Checkpoints in der Hamburger Brigittenstraße[1] bildet da keine Ausnahme.
Diese
Antworten, wie sie im Einzelnen auch ausfallen mögen, rekurrieren immer darauf,
dass der Antizionismus, weil Nationalstaatskritik, eine originär und
ausschließlich linke, der Antisemitismus, weil Rassismus, dagegen eine originär
und ausschließlich rechte Angelegenheit sei. Beides ist falsch, und zwar sowohl
die jeweiligen Voraussetzungen als auch die Schlussfolgerungen.
Der
im politischen Antisemitismus seit dem späten 19. Jahrhundert enthaltene
Rassismus war immer Mittel zum Zweck. Die Antisemiten bedienten sich der
seinerzeit keineswegs nur bei Rechten populären Rassetheorien, um ihrem
Programm der Reinigung des Nationalvolks durch Ausgrenzung von Jüdinnen und
Juden aus dem öffentlichen Leben eine ›wissenschaftliche‹ Legitimation zu
verleihen. Der Nationalsozialismus baute selbstverständlich darauf auf. Aber
für das Fortschreiten von der Ausgrenzung zur Vernichtung waren nicht
rassekundliche Legitimationsideologien ausschlaggebend, sondern der imaginierte
Abwehrkampf der deutschen Volksgemeinschaft gegen die jüdische
Weltverschwörung. Dieser neue, sozusagen zu sich gekommene Antisemitismus
beruft sich auf eine Art ›Antisemitisches Manifest‹, das vor dem
Nationalsozialismus entstand, aber bereits eine Reaktion auf die Zionistischen
Weltkongresse darstellt und die nationalsozialistische Bewegung maßgeblich
geprägt hat: die Protokolle der Weisen
von Zion. Weite Teile von Hitlers Mein
Kampf sind eine Paraphrase dieser Fälschung des zaristischen Geheimdienstes,
die darstellt, wie eine jüdische Geheimorganisation die Fäden des
Weltgeschehens zieht. Beide Schriften gehören in den meisten islamischen
Ländern heute nachweislich zu den verbreitetsten überhaupt nach dem Koran.
Nicht
nur der Zionismus, auch der Antizionismus ist jedoch historisch eine jüdische
Erfindung. Das, was heute weltweit als mehr oder weniger linker ›Antizionismus‹
auftritt, hat allerdings sehr wenig – und in Deutschland höchstens
ausnahmsweise – mit den disparaten, weil aus ganz unterschiedlichen Gründen
vertretenen jüdischen Positionen gegen die zionistische Bewegung zu tun, die
zusammengenommen die Mehrheitsposition unter den Jüdinnen und Juden ausmachten
– bis zur Shoah. Und es unterscheidet sich inhaltlich nicht nur vom islamistischen,
sondern auch vom heutigen rechten Antizionismus in Europa so gut wie gar nicht.
Der Antizionismus ist nichts anderes als die globalisierte Erscheinungsform des
Antisemitismus unter Weltmarktbedingungen. Keineswegs nur in Deutschland, aber
nirgends so wie hier durchzieht er das politische Spektrum von links nach
rechts: von den Gewaltspektakeln der B5 über die Auftritte des deutschen
Friedensfreundes Ludwig Watzal bei ›Linksruck‹[2], die Völkerrechtselogen eines
Norman Paech, den linken Deutschnationalismus des Spiegel, die staatstragende ›Israelkritik‹ in den Beiträgen Ludwig
Watzals für die Bundeszentrale für politische Bildung, die langjährige
deutsch-arabische Lobbypropaganda der FDP, Norbert Blüms wiederholte
Talkshow-Anklagen des israelischen »Vernichtungskrieges«, des katholischen
Theologen und Allzweck-Antisemiten Ludwig Watzals Rede von Camp David als dem
»palästinensischen Versailles« bis zu den nicht immer, aber immer öfter in den
erfolgreichsten und langlebigsten ›linken‹ Modehit, den Feudalisten-Feudel,
gewickelten Neonazis – nicht zu vergessen schließlich die regelmäßig
wiederholten Umfragen, wonach gut die Hälfte bis drei Viertel der Deutschen den
Weltfrieden in erster Linie durch Israel bedroht sehen. Insofern es für seinen
je konkreten Inhalt völlig nebensächlich ist, wer ihn gerade vertritt, ist der
Antizionismus weder links noch rechts noch irgendwo in der Mitte. Er ist
wesentlicher Bestandteil des gemeinschaftsstiftenden Bodensatzes der herrschenden
Meinung.
Das
einzige, was dieser Antizionismus speziell mit den Linken zu tun hat – und das
ist allerdings eine ganze Menge –, das ist die Tatsache, dass sie es waren, die
ihn zur herrschenden Meinung gemacht haben. So wie auch die Wiederherstellung
Deutschlands als kriegführende Nation durch einen Angriffskrieg auf das einzige
Land, das sich aus eigener Kraft von der Wehrmacht befreit hatte, von einer
rot-grünen Regierung bewerkstelligt werden musste, so konnten auch nur Linke
den durch die Nazis irgendwie in schlechtes Ansehen geratenen Antisemitismus
wieder gesellschaftsfähig machen, indem sie ihn als Antizionismus neu
etablierten. Über Jahrzehnte hinweg hat diese Rehabilitation unendlich viel
mehr zur Erledigung der deutschen Vergangenheit beigetragen als der
›Historikerstreit‹ und sämtliche rechten Kanpagnen gegen die
Wehrmachtsausstellung zusammen, ganz zu schweigen von Kampagnen wie »Du bist
Deutschland« – und zwar schon vor Josef Fischers und Martin Walsers gemeinsamer
Erfindung der deutschen Identitätsstiftung durch Auschwitz.
Die
größte historische Leistung der deutschen Linken dokumentiert also zugleich ihr
totales Versagen nach Maßgabe ihrer eigenen Ansprüche: Gerade die Allgegenwart
›ihres‹ Antisemitismus offenbart täglich aufs Neue mindestens ihre
Überflüssigkeit, eher aber ihre insgesamt konterrevolutionäre Funktion. Denn wo
als Konsequenz aus dem Nationalsozialismus die Abschaffung Deutschlands auf der
Tagesordnung zu stehen hätte, betreiben Linke seine Universalisierung als
Internationale der völkischen Bandenherrschaft; und während der Skandal des
weltweiten Antisemitismus immer noch die Notwendigkeit des Staates Israel
begründet, skandalisieren Linke gerade dessen Existenz und betreiben seine
Sabotage mit allen Mitteln, weil ihnen der Staat nicht Joch, sondern Privileg
ist, das den Juden nicht zusteht.
Bei
den AntiImps, deren Volkstumsbegeisterung und Antizionismus spätestens seit dem
Ende der Sowjetunion durch nichts mehr relativiert wird, läuft beides zusammen
auf eine Praxis hinaus, die das Vernichtungswerk der Nazis zu vollenden
trachtet. Die Parole »Intifada bis zum Sieg!«, die bei der Vorführung von Pourquoi Israël am 13. Dezember auf dem b-movie stand, steht für nichts
anderes als das Programm der Endlösung der Zionistenfrage. Und es ist genau
diese Art der Radikalisierung des Antizionismus zur konformistischen Revolte
über die Grenzen der Staatsraison einer Exportnation hinaus, die die
gesellschaftliche Funktion wie auch die Selbstlegitimation dieses lunatic fringe der Linken ausmacht.
Dasselbe gilt für die Neonazis, denen gegenüber sich der B5-Fanclub als die
günstigere Alternative für den Job empfiehlt, wenn er gegen die Kundgebung des
Bündnisses gegen Hamburger Unzumutbarkeiten den Sprechchor »Israel –
internationale Völkermordzentrale« anstimmt, ohne dass die Polizei eingreift.
Drei Jahre zuvor war aufgrund derselben Parole NPD-Boss Udo Voigt wegen
Volksverhetzung festgenommen worden. Auf diese Weise verhelfen derart
Linksextremisten noch den krudesten Varianten der Totalitarismustheorie zu
ihrem Recht.
Nun
vertritt die Mehrheit der Linken bekanntlich einen irgendwie gemäßigten
Antizionismus, und, was viel wichtiger ist: es hat immer auch Linke gegeben,
die nicht antizionistisch waren. Es
waren und sind dies üblicherweise diejenigen, die eine mehr oder weniger
theoretisch fundierte Kritik der kapitalistischen Gesellschaft als Totalität betreiben, also als etwas,
das seine eigene Opposition einschließt; diejenigen also, die zumindest
ansatzweise in der Lage sind, ihre eigene Rolle in dem ganzen Spiel zu
reflektieren. Aber je tiefer die Linken insgesamt in kultureller und
politischer Bedeutungslosigkeit versinken; je weiter das linke Bewusstsein sich
von jeder Perspektive auf gesellschaftliche Befreiung entfernt; je weniger die
Linken als Arbeiterbewegte, Feministinnen, Autonome, Wertkritikerinnen,
Internationalisten, Sozialrevolutionäre, Anarchosyndikalistinnen, Antideutsche
oder was auch immer je für sich zu sagen haben; je mehr sie sich also als ein
mythischer Zusammenhang vergemeinschaften, der sich ›die Linke‹ nennt, also als
Familie – desto aussichtsloser wird
es, dem Antizionismus von innen etwas
entgegenzusetzen. Denn der sorfältig gepflegte und durch viel Bescheidwissen
unterfütterte Hass auf Israel ist keineswegs ein x-beliebiges linkes Hobby
unter -zig anderen. Er soll – das ist der einzige ›Sinn‹, den Antisemitismus,
wie jeder Wahn, hat – seinen Protagonistinnen die Welt erklären, nicht zuletzt
sie selbst darin, und er ist in diesem Anspruch ebenso totalitär wie der Verwertungszusammenhang,
der ihn hervorbringt. Wer tatsächlich
etwas will in dieser Welt, sich also folglich mit Tatsachen und deren Kritik
beschäftigt, ist deshalb zwar nicht unempfänglich für das Angebot der
sinnstiftenden Strukturierung des unbegriffenen Ganzen, an dessen Verrücktheit
Vernunft stets aufs Neue scheitert; er kann und wird dem aber etwas
entgegensetzen. Wer sich jedoch entschieden hat, in erster Linie ›die Linke‹ zu
seiner Sache zu machen, der kann das nicht, will es vielmehr nicht, sondern
lässt zu oder, was in diesem Fall dasselbe ist, arbeitet daran, dass diese zu
einer Agentur des Ressentiments und letztlich der Vernichtung wird. Dieser
Prozess hat mittlerweile ein Stadium erreicht, in dem das linke Ticket vom
antizionistischen strukturell nicht mehr zu unterscheiden ist.
Es
gehört zum Kerngeschäft der linken Antisemiten, zu lügen, wenn sie nur den Mund
aufmachen. Sie lügen über sich selbst ebenso viel wie über die Juden oder wen
immer sie gerade als deren Agenten ausgemacht haben – aber in einem Punkt kann
ihnen nicht (jedenfalls nicht mehr)
sinnvoll widersprochen werden: wenn sie sich als Linke bezeichnen. ›Linker
Antisemitismus‹ ist genau so lange
ein Paradoxon, ein logischer Widerspruch in sich, wie ›links‹ mit einem Inhalt
verbunden ist, der, wie vage und unbestimmt auch immer, auf die Notwendigkeit
und die Möglichkeit der Befreiung der Menschen und des Menschen aus den Zwängen ihrer zweiten Natur verweist:
Aufklärung, Kritik, Materialismus, Emanzipation. Aber derlei Ballast haben die
Linken längst abgeworfen. Ihre Verlautbarungen tönen immer dort am hohlsten, wo
erklärt werden soll, was das ganze zusammenhält. Zu diesem Zweck werden dann
gerne Fundamente gelegt und Grundpfeiler oder Säulen errichtet und aufgereiht,
die sämtlich Anti-irgendwas heißen und sich gegen etwas richten, von dem die
Linken keinen Begriff haben und von dem durch bestimmte Negation einen Begriff
sich zu erarbeiten sie zunehmend für ein gefährliches, weil zersetzendes
Unterfangen halten.
Dabei
ist es vollkommen wurst, wem genau es um was gerade geht, welche linke Gruppe oder Organisation sich zu was auch
immer äußert (und wie im einzelnen richtig oder falsch auch immer). Ebenso
wurst ist es, ob die üblichen drei bis acht Antis im Text impliziert sind oder
ausdrücklich aufgelistet werden, und welche von ihnen gerade mal fehlen oder
besonders hervorgehoben werden – all diese Versuche, das eigene Anliegen, die
eigene Meinung in einen größeren Zusammenhang zu stellen und ihnen damit
zusätzliche Bedeutung zu verleihen, scheitern stets an der Inhaltslosigkeit
dieses Zusammenhangs, der, je schlechter genau das noch verborgen werden kann,
sich immer zwanghafter als ›die Linke‹ bezeichnet – ein im übrigen historisch
relativ neues Phänomen, das als vorherrschendes erst zu beobachten ist, seit
Jan-Philipp Reemtsma 1990 konstatierte: »›Die Linke‹ hat nicht nur
welthistorisch verloren, sondern es gibt sie nicht mehr.«[3]
Dass der
Zusammenhang ›die Linke‹ materiell ein halluzinierter ist, schließt wie gesagt
nicht von vornherein aus, dass die von seinen Mitgliedern im jeweils konkreten
Einzelfall zur
Sache vorgebrachten
Anliegen und vertretenen Meinungen gut und richtig sein mögen. Es führt aber
mindestens dazu, dass Nabelschau, Selbstbespiegelung und der Streit um immer
kleinere Distinktionsgewinne mehr und mehr Raum einnehmen; dass also ein
kontinuierlich wachsender Anteil linker Verlautbarungen, von Äußerungen in
Kneipengesprächen über Internet-Forenbeiträge und Stadtteilflugblätter bis hin
zu Parteiprogrammen und anderen Grundsatzerklärungen, sich mit nichts anderem
mehr beschäftigt als der Frage, wer zu dieser selbsternannten Gemeinschaft der
Guten gegen das Böse noch hinzugehören soll oder darf. Darin gleicht ›die
Linke‹ weniger einem Verein, der sich zwecks Verfolgung gemeinsamer Ziele
gegründet hat, als vielmehr einer Glaubensgemeinschaft, die von einer
Gesamtheit aus Kirchen und Sekten zusehends als Ganze zur Sekte regrediert;
oder einer Familie, deren gesellschaftlicher Zweck in erster Linie ebenfalls
darin zu sehen ist, abweichendes Verhalten zu sanktionieren. Beide imaginieren
sich als Schicksalsgemeinschaften, die nicht in Frage gestellt werden können,
ohne jeden einzelnen ihrer Angehörigen zu verraten, deren Kritik ab einem gewissen
Grad an Radikalität also gewaltförmig verhandelt wird. All dies verweist auf
ein drittes Vergleichskollektiv, dessen Funktionsweisen ›die Linke‹ beständigt
imitiert und reproduziert: die deutsche Volksgemeinschaft.
Der
wesentliche Unterschied zwischen ›der Linken‹ und dem deutschen Volk
besteht darin, dass erstere kein institutionalisiertes Herrschaftssubjekt ist,
also erfreulicherweise nur sehr begrenzt unmittelbaren Zwang ausüben kann. Man
braucht die Ungeheuerlichkeit, die es bedeutet, wenn ein auf einschlägigen Webseiten als »Antilinker« und
»Kriegsjude« titulierter in der U-Bahn-Station mit den Worten, »Du kommst hier
öfter lang, du bist dran!« ins Gesicht geschlagen wird[4], überhaupt nicht zu leugnen (wie es die
linke Szene insgesamt allerdings tut), um den fundamentalen Unterschied zur
Kenntnis zu nehmen gegenüber dem, was ›Volksfeinden‹ widerfährt, wenn sie von
Behörden und Polizei drangsaliert oder von einem bewaffneten Mob durch
nächtliche Fußgängerzonen gehetzt und totgeprügelt werden. Und einen Vorfall
wie den, als eine Frau beim Aufhängen des Plakats für die Bündnisdemonstration
am 13. Dezember unvermittelt von einem sich hinter ihr aufgebaut habenden
Mann über die Schulter angesprochen wurde mit den Worten, »Von welchem
Kameltreiber willst du dich denn gerne mal ficken lassen?«, woraufhin dessen
Begleiterin in hysterisches Kichern ausbrach – den sollte man sich, vorausgesetzt,
man ist nicht gerade beim Essen, mal gründlich zu Gemüte führen, um eine
Vorstellung davon zu gewinnen, mit was für Leuten man es hier zu tun hat.
Allerdings verweist so etwas zwar auf den Zusammenhang des Antisemitismus mit
Sexismus und Rassismus, von dem diejenigen, die öffentlich keine drei Sätze
ohne »Antisexismus« und »Antirassismus« sagen können, noch nie etwas wissen
wollten und auch weiterhin nicht werden wissen wollen – doch auch eine
Ekelhafigkeit wie diese ist kein Fall von systematischem Terror gegen
›Antideutsche‹ oder solche, die von linken Prodeutschen gerade dafür gehalten
werden.
Die bis
vor kurzem aus der antiimperialistisch befreiten Zone Magdeburg berichteten
Zustände verweisen allerdings darauf, dass sich genau das ganz schnell ändern
kann, wenn die strukturell mafiaähnlich auftretenden linksantisemitischen
Banden sich entsprechend stark fühlen; dass also der zutiefst provinzielle
Gesamteindruck, den die hiesige Szene derzeit abliefert (nicht zu vergessen die
offizielle Politik und die bürgerlichen Medien, für die dasselbe gilt), mit
Schlimmerem droht als bloß noch mehr politischer und kultureller Ödnis. Zwar
ist die Zahl derjenigen in der Szene, die Gewaltanwendung gegen ihre
Kritikerinnen und Kritiker ausdrücklich befürworten, vergleichsweise klein, was
aber nicht viel heißt, solange die Zahl derer, die sie tolerieren, so hoch ist,
dass auf der Bündnisdemonstration die Einheimischen zumindest annähernd die
Minderheit darstellten. Dass der Verlauf des Tests, als der die Checkpoint-Aktion
des 25. Oktober, bei aller Zwanghaftigkeit der Ausführung, zu einem
gewissen Grad ganz bewusst angesetzt war, für die antisemitischen Agitateure
nicht ohne weiteres als Erfolg zu verbuchen war, ist in erster Linie der
überregionalen und internationalen Aufmerksamkeit zu verdanken, die er erfahren
hat. Wann der nächste derartige Versuchsballon aufsteigt, wird auch davon
abhängen, wie gut es den Schlägern gelingt, das Interesse des linken
Mainstreams, von Kritik seines Antizionismus nicht behelligt zu werden, für
sich zu nutzen.
Diese
Frage verweist auf das, was den essenziell dummdreisten Charakter
antisemitischer Agitation ausmacht: das merkwürdige Verhältnis von einerseits
wutschnaubender unkontrollierter Rabulistik, die immer viel mehr ausplaudert
als beabsichtigt, und andererseits einem demagogischen Kalkül, das zielsicher
genau die Codes, Formeln und Gemeinplätze aufruft, die sich zur Manipulation
der (linken) Volksseele bewährt haben. Die ganze antisemitische Struktur der
Ersetzung von Tatsachen durch Gerüchte, von Kritik durch Verleumdung, von
Analyse durch Verfolgungswahn, von Argumentation durch Prügel und von Tätern
durch Opfer enthält immer beide Seiten dieses Verhältnisses, und die immer
wieder beeindruckende Fallhöhe zwischen größenwahnsinnigem weltrevolutionären
Feldherrengeschwurbel und beleidigt sentimentalem Betroffenheitsgesülze
erschwert häufig das Verständnis der Einheit von Neurose und Berechnung
zusätzlich. Feststellen kann man aber, dass eher unmittelbar zwanghaft agiert
wird, wenn es um die Juden und insbesondere deren Vernichtung im NS geht,
während zurückgelehnt aus einer vollen Hand von linken Tickets eines nach dem
anderen ausgespielt wird, wenn der Gegenangriff gegen die Kritikerinnen und
Kritiker des Antizionismus erfolgt.
Der linke
Antisemit kann zwar seinen Wahn, dass ›die Zionisten‹ an allen Übeln der Welt
schuld sind, nicht reflektieren, und er fällt ständig auf seine eigene
Agitation herein, indem er zwanghaft nachahmt, was sie ihm als die Wahrheit
über die Juden präsentiert. Wenn aber die Kiezstrategen aus der Brigittenstraße
zusammen mit neuerdings unter dem Namen Kommunistische Assoziation Hamburg im
World Wide Web herumtrötenden Tierrechtlerinnen als Völkerrechtler in eigener
Sache auftreten und dem Rest der Welt (das heißt für sie, der linken Szene)
weismachen wollen, die bekannte antideutsch-rassistisch-philoantisemitische
NeoCon-Terrornazitruppe Kritikmaximierung strebe in typisch zionistischer
Landraubmanier die Territorialhegemonie in St. Pauli Nord an, und zwar mit der
»machtpolitischen Option« auf eine »geopolitische Neuordnung im Nahen Osten«[5] – wenn sie also dem perfiden geheimen
Welteroberungsplan ›Heute denen ihr Klo, morgen das ganze Viertel, übermorgen
der Rest der Welt‹ standhaft ein so verzweifeltes wie anmaßendes ›Wehret den
Anfängen!‹ entgegenschmettern – dann glauben sie sich selbst kein Wort, und
mögen sie sich noch so viel Mühe geben. Allerdings vertrauen sie, und zwar, wie
wir gesehen haben, mit einigem Grund, darauf, dass es schon genug Knallköppe
geben wird, die ihnen den Blödsinn nur zu gerne abkaufen.
Natürlich
kauft das kein Mensch zum Listenpreis, man ist ja aufgeklärt in der hiesigen
Szene, und alle wissen, dass die B5ler und erst recht die von der TAN ziemlich
einen an der Waffel haben. Aber nun hat man neulich schon wieder irgendwo
unterschrieben, dass Israel schon auch irgendwie ein Existenzrecht habe oder es
jedenfalls erstmal doch nicht verboten werden sollte, das zu behaupten, und man
hat sich auf dem Plenum stundenlang angehört, dass selbst in der Linken manchmal manche aus Versehen so Stereotypen
und Metaphorik verwenden, die, wenn man nicht ganz genau aufpasst, von anderen
böswillig so interpretiert werden könnten, als würden sie bei noch anderen
möglicherweise, per verkürzter Kapitalismuskritik, antisemitische Denkmuster
befördern können. Und es nützt alles nichts: es nimmt einfach kein Ende!
Eigentlich macht schon seit Jahren alles keinen Spaß mehr, man darf überhaupt
nichts mehr sagen und schon gar nicht machen, ohne dass gleich einer mit der
Auschwitzkeule draufhaut. Unter solchen verschärften Bedingungen ist es dann
schon ganz okay, wenn diesen antideutschen Nervbolzen mal jemand sagt, dass nu
aber gut is. – Dafür fragt dann niemand so genau nach, wie die das gesagt haben, kennt man ja auch alles schon,
und wenn der große Zyklus, in dem jedes Grüppchen seine Erklärung abgibt und
die Schmuddelkinder ein bisschen ausschimpft, einmal ganz rum ist, dann ist
schon wieder so viel Gras über die Sache gewachsen, dass die auch wieder mit
ihrem Infostand aufs Stadtteilfest dürfen. Derart Großzügigkeit weiß man zu
schätzen in Hamburg.
Die linken
Antisemiten wissen also genau, dass die Antideutschen sich nicht wirklich in
ihrem Hinterhof einnisten wollen. Trotzdem können sie offenbar einfach nicht
auf sie verzichten. Wenn man sieht, was aus der ganzen Geschichte geworden ist,
muss man sich fragen, wieso die sowas machen: Was hätten sie eigentlich zu
verlieren gehabt, wenn sie einfach den Kinogästen ein bisschen mit einem ihrer
üblichen Flugblätter und vielleicht noch dem Apartheidsstaat-Transparent und
einer Pali-Fahne auf die Nerven gegangen wären und ansonsten das b-movie sein
mit dem Lanzmann-Film verfolgtes Ziel, nicht dauernd als der B5 assoziiert
wahrgenommen zu werden, einfach wie gedacht hätten erreichen lassen – statt auf
die Weise, wie es jetzt erreicht wurde? Und was haben sie mit ihrer
›Protestaktion‹ gewonnen? Resultiert ihr Handeln also aus purer Doofheit? Wie
gesagt: nicht ganz.
Sämtliche
Verlautbarungen der B5 und ihres Umfeldes sowie ihrer sonstigen Clacqueure in
der Linken verfahren auf bemerkenswert einförmige Weise nach derselben Methode,
nämlich, die Auseinandersetzung vom Gegenstand der Kritik auf deren
Urheberinnen zu verlagern.[6] Sie machen gar nicht mehr den Versuch, den
Antisemitismusvorwurf zu entkräften, also über die bloße Behauptung hinaus
darzulegen, warum ihr Antizionismus damit nichts zu tun habe. Stattdessen
erklären sie die Kritik dadurch für widerlegt, dass sie von »Antideutschen«
vorgebracht werde, die keine Linken, sondern »Neokonservative«, »Kriegstreiber«
und »Rassisten« seien – was dann, wenn die Tickets einmal ausgespielt sind,
nicht mehr belegt werden muss. Bemerkenswert ist daran neben der
Selbstverständlichkeit, mit der es geschieht, dass es, zumal die
Verschiebungsleistung keineswegs ein Alleinstellungsmerkmal der AntiImps ist,
einen gewissen Erfolg hat. Wenn auch abzuwarten bleibt, wie weit dieser Erfolg
tatsächlich reicht und wie nachhaltig er wirkt, so zeigt das Ritual selbst doch
die Grenzen antideutscher Politik auf, ja es beleuchtet letztlich die Paradoxie
einer antideutschen Linken. Denn insofern ›die Antideutschen‹ als Ersatzobjekte
herhalten, also gebraucht werden, solange die Antisemiten an das eigentliche
Objekt ihre Hasses, die ›Zionisten‹, nicht herankommen, verlängern sie das
immergleiche linke Treiben, ohne ihm noch ein kritisches Hindernis in den Weg
legen zu können. Ihre Existenz fördert mittlerweile die Leugnung des konterrevolutionären
Charakters der Linken mehr, als sie ihn bloßstellt, und zwar insbesondere dort,
wo die Szene ihnen insgeheim Recht gibt, indem sie die Bekämpfung des
Antisemitismus schamlos delegiert.
Das
B5-Umfeld braucht mindestens alle paar Jahre einen Skandal, um der linken
Öffentlichkeit, und nicht zuletzt sich selbst, in Erinnerung zu bringen, dass
der antiimperialistische Kampf weitergeht; und die Szene insgesamt braucht ihn
ebenso, um sich der eigenen Erhabenheit über derlei Sektenkriege zu vergewissern.
Und so kann das ganze Spielchen noch zahlreiche weitere Auflagen erfahren.
Was tun,
um diesem obszönen Ritual ein Ende zu setzen? Natürlich, die Forderung »B5
dichtmachen!« ist absolut zwingend, sie ist die konkrete politische Forderung,
die sich geradezu aufdrängt, und es wäre lächerlich, weitergehendes zu fordern,
solange das nicht erfüllt ist. Aber schon diese Selbstverständlichkeit – wer
soll sie denn durchsetzen? Wir? Wie denn? Die Staatsgewalt? Die wird einen
Teufel tun. Bleibt also nur, die Angehörigen der linken Szene, die natürlich
sehr wohl gehörigen Druck ausüben könnten, wenn sie denn wollten, zu fragen, ob
sie sich nicht vor sich selber ekeln, wenn sie weiterhin ein antisemitisches
Sturmlokal protektionieren, und sie aufzufordern, ihren Dreck doch endlich mal
selber wegzumachen. Was es allerdings nützt, an Selbstwert- und
Verantwortungsgefühl deutscher Linker zu appellieren – darüber haben wir schon
längst keine Illusionen mehr.
Es gibt
einen Vorwurf, der in der Gesamtlinken gang und gäbe ist, den jede Kritikerin
und jeder Kritiker des linken Antisemitismus aus -zig Debatten mit wem auch
immer kennt: der, man wolle »die Linke spalten«. Wir haben noch nie verstanden,
warum das ein Vorwurf sein soll. Und wir würden es tatsächlich sofort tun –
denn die Antizionisten und die Deppen, die sich von denen nicht trennen wollen,
einfach abspalten und sich selbst überlassen, und dann eine wie auch immer
geartete Minderheitsveranstaltung derer mit Restvernunft aufziehen, sich mit
denen über alles mögliche streiten und mal wieder ein anderes ›Argument‹ zu
hören bekommen als, »jede Kritik an Israel wird immer gleich als antisemitisch
denunziert!« – was könnte es, das Weiterbestehen von Staat und Kapital
vorausgesetzt, Schöneres und Sinnvolleres geben? Wenn es nach uns ginge, wäre
die Geschichte der deutschen Linken schon längst in diesem Sinne entschieden.
Leider
steht das so gar nicht in unserer Macht. Denn die vielbeschworene Spaltung
der Linken an der Frage des Antizionismus ist keine drohende Gefahr, sondern
eine längst verpasste Chance. Jetzt ist kaum noch etwas zu spalten übrig. ›Die
Linke‹ hat den Antisemitismus so in sich aufgesogen, dass sie insgesamt kaum
noch von ihm zu unterscheiden ist. Der Prozess, dessen Beteiligte und Zeugen
wir derzeit sind, ist der der Auflösung
und Zersetzung des auf die nichtendenwollende Beschwörung der linken Identität
um ihrer selbst willen zurückgeworfenen Rests.
Wo
da das Positive bleibt? Ist uns egal. Uns interessiert, was aus der radikalen
Negation wird, also der Praxis der Abschaffung, die dieses Land so nötig hat
wie sonst nichts. Wo bleibt der Materialismus, der schon längst in der Linken
noch weniger zuhause ist als sonst irgendwo? Wir werden uns wohl selbst darum
kümmern müssen, weil es sonst mal wieder niemand tun wird.
Wir
wissen, dass der Versuch, sich am eigenen Schopf aus dem linken Sumpf zu
ziehen, nicht nur die Gesetze der Mechanik gegen sich hat, sondern auch die
Tatsache, dass drumherum so furchtbar wenig fester Boden in Sicht ist. Wir
wissen ebenso, dass unter die Leute, die gemeinhin dümmer und unsympathischer
sind als Linke, insbesondere die allermeisten Ex-Linken zu zählen sind. Wir
werden also auch weiterhin anderes zu tun haben, als uns dagegen zu verwahren,
für Linke gehalten zu werden. Voraussichtlich werden die, die mit uns weiter
zusammenarbeiten, überwiegend Linke sein, wie auch die, mit denen sich neue
Kooperationen ergeben. Aber in linken Richtungsstreits sich aufzureiben, bei
denen es statt um einen bestimmten Inhalt um die Zukunft ›der Linken‹ geht –
das war schon immer fragwürdig und ist vollends sinnlos geworden, seit die
Richtung, in die ›die Linke‹ sich bewegt, feststeht: den Bach runter. Und da
das leider weniger ihr Dasein als solche betrifft als vielmehr das Verhältnis
ihres Wollens zu ihrem Tun, also die Frage, ob zwischen ihrem Anspruch und
ihrer erbärmlichen Wirklichkeit überhaupt noch ein Widerspruch auszumachen ist,
muss als Stand der Dinge konstatiert werden: der Kampf gegen Deutschland und
die antisemitische Internationale, für die staaten- und klassenlose
Weltgesellschaft, also für Israel, wird nicht nur ohne, sondern gegen die deutsche Linke zu führen sein.
Hamburger
Studienbibliothek
Geringfügig
überarbeitete Fassung des Referats auf der Veranstaltung der Antideutschen Gruppe
Hamburg am 8. Januar 2010.
[1]Zur
Darstellung des Sachverhalts siehe http://b-g-h-u.blogspot.com/,
dort auch weitere Stellungnahmen.
[2]Diese
trotzkistische Sekte treibt heute unter dem Namen marx21 in der Partei Die
Linke ihr Unwesen. Zu Watzal siehe das Flugblatt der Gruppe No Birds unter http://www.studienbibliothek.org/texte/friedensfreund.html.
[3]»... the bad and the ugly«, Konkret
1990,12.
[4]So
geschehen einem bereits einige Tage zuvor für den Versuch, sich Warum Israel anzusehen, angegriffenen
HSB-Mitglied.
[5]»Von der
›antideutschen‹ Schmierenkomödie zur Grand opéra«, http://kommunistischeassoziation.wordpress.com/.
[6]Dasselbe
Muster durchzieht, mit zunehmender Deutlichkeit, bereits die diversen
Antisemitismusskandale im Hamburger Freien Sender Kombinat; siehe Andreas Kühne
u. Andrea Woeldike, »Der Skandal als Institution«, in Initiative
Sozialistisches Forum (Hrsg.), Furchtbare
Antisemiten, ehrbare Antizionisten: über Israel und die linksdeutsche Ideologie,
Freiburg: Ça ira, ²2002; auch http://isf-freiburg.org/verlag/leseproben/isf-fuer.israel.html.