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Kriegstreiber in Hochstimmung, oder: Aus dem Paechschen Paralleluniversum

Gedächtnisprotokoll eines linken Kameradschaftsabends

Von einer Veranstaltung mit den Kriegsheimkehrern Norman Paech und Nader el Sakka (Palästinensische Gemeinde) sowie dem örtlichen MdB der Linkspartei, Jan van Aken (Moderation), konnte man nur Gruseliges erwarten. Was sich am 4. Juni 2010 in der mit ca. 200 Zuhörern gefüllten Hamburger Louise-Schröder-Schule abspielte, konnte selbst den Hartgesottensten einen Schauer über den Rücken jagen.
Am unheimlichsten blieben drei Aspekte im Gedächtnis:


1) Die völlige Gleichschaltung aller Beteiligten bei gleichzeitig völligem Verlust der Realitätskontrolle.

Der komplette Saal war sich einig, dass die letzte Woche »auf allen Kanälen, in allen Zeitungen« nur (pro-) israelische Propaganda zu vernehmen gewesen wäre. Insbesondere Paech durfte den Satz vom zu vermeidenden Widerspruch so viel mit Füßen treten, wie er wollte, ohne der Wirkung irgendeinen Abbruch zu tun: Alle Aktivisten an Bord wären völlig friedlich gewesen, die angeblich verletzten israelischen Soldaten hätten nur »Kreislaufprobleme« gehabt - und sich gegen Angriffe mit Eisenstangen zur Wehr zu setzen, sei außerdem jedermanns gutes Recht. Ein ihm »vom 'Monitor' zugespieltes youtube-Video« über Kampfvorbereitungen an Bord der Marmara sei eine heimtückische Mossad-Fälschung - und zeige, falls doch echt, außerdem nur harmloses maritimes Werkzeug. Ganz Gaza darbt und ächzt - aber die Hamas tut gut daran, die Annahme der Hilfslieferungen zu verweigern, solange Israel nicht gleich die Blockade ganz einstellt. Freiheit ist das höchste - und nur so ein Spleen von Merkel und Westerwelle. Und so weiter, und so weiter. Und selbst als Paech von »Paintbulletpumpguns« schwadronierte, mit denen die Israelis die Aktivisten erschossen hätten, fragte niemand mal zaghaft nach, ob er da nicht in der Aufregung zwei Sachen durcheinanderbringe.


2) Die gelöste, fröhliche, fast schon euphorische Stimmung im Raum.

Besonders Paech erzählte, als wär's ein Diaabend, am laufenden Meter Reisedöntjes über zu kleine Kojen, schnarchende schwedische Parlamentarier und die Kamera seiner Frau, und alle lachten herzlich mit. Miterleben zu müssen, wie neun Menschen sterben und zahlreiche verletzt werden, könnte, sollte man meinen, selbst abgebrühteste Politkader ein wenig aus der Bahn werfen, ein Moment von Schock, Traumatisierung etc. hinterlassen. Nicht bei diesem fleischgewordenen Verrat am Gattungswesen, das sich eitel bis zum Anschlag in der Rolle als neuer Medienstar und Beinahemärtyrer sonnte. Und mit ihm die Zuhörer, die natürlich sehr wohl wissen, dass sie gerade auf einer Welle des Erfolges surfen, und das auch zeigen. Niemand wollte irgendwelche Details über die Opfer, den Zustand der Verletzten etc. wissen; alle genossen das geheime Märtyrer-Motto: »9 Tote - yes! Strike!« Schwer zu sagen, was schlimmer wäre - sowas zum Feind zu haben oder zum Freund.


3) Der hemmungslose Wille zur Macht.

Im Gefühl, ganz obenauf und endlich wer zu sein, sannen Podium und Publikum auf Großes. Ob er schon Anfragen von »hoher Stelle« bekommen habe, etwa »vom Geheimdienst«, wurde Paech von einem Diskutanten gefragt; und ein anderer schwang sich auf den Feldherrenhügel, um »türkische oder skandinavische Fregatten« als Begleitschutz für den nächsten Konvoi in Stellung zu bringen, »die den Faschisten dann einfach mal einen vor den Latz knallen«. Großer Beifall bei der Hälfte des Publikums, die andere ist kurz unsicher, ob das nicht vielleicht zu weit geht - ist aber beruhigt, als Paech voll drauf anspringt: Er wünschte sich gleich die deutsche Marine. Jetzt klatschen alle im Saal frenetisch, nur Jan van Aken fällt siedendheiß die Beschlusslage der Partei wieder ein: »Ich bin gegen den Einsatz der Marine vor Somalia, und ich wäre auch gegen einen solchen Einsatz« – kurz betretenes Schweigen – »aber ich weiß ja, Norman, das hast du so auch nicht gemeint.«

Schließlich der Höhepunkt. Schon in seiner Einleitung hatte van Aken klargestellt, die IHH, unter deren Leitung die »Mavi Marmara« stand, habe mit Terrorismus nicht das geringste zu tun. Das habe auch die Zeit geschrieben, und die stehe ja wohl »nicht im Verdacht, proislamistisch oder linksradikal zu sein«. Die Polemik, dass das inzwischen austauschbar sei, hat sich offensichtlich für die Linkspartei schon längst in eine Tatsachenfeststellung gewandelt. Das wurde in der anschließenden Diskussion mehr als bestätigt. Auf die Nachfrage, wie das denn so war, auf hoher See mit märtyrerwilligen Muslimbrüdern und türkischen Faschisten, ob es da so Spannungen gegeben habe oder alle sich bestens verstanden hätten, darf zunächst el Sakka antworten: Er habe davon gar nichts bemerkt, ihm seien alle ganz friedlich vorgekommen. Daraufhin hakt – unter großer Empörung des Publikums – ein weiterer Fragesteller nach, präzisiert die Angaben zur Passagiersliste (u.a. die türkische Saadet Partisi, die für das Massaker an einem alevitischen Kulturfest in Sivas mitverantwortlich war) und will wissen, was sich denn daraus für strategische Perspektiven »für die Linke und Deutschland überhaupt« ergeben könnten. Diesmal ist wieder van Aken dran, und er erzählt eine »Geschichte aus meinem Leben«: 1995, nach dem Mordanschlag auf ein Türken bewohntes Haus in Mölln, habe es eine Trauerkundgebung gegeben. An der hätten auch die Grauen Wölfe teilgenommen, und er habe das auch nicht versucht zu verhindern. Und dann, wörtlich: » Was ja, im Kontext der Frage und der darin aufgeführten Tatsachen, nichts anderes heißt als: Damals haben wir sie nicht ausgegrenzt, und das tun wir heute auch nicht.« Riesiger Beifall im Saal.

Sie hätten, wie el Sakka, drumrumreden können, leugnen, es für belanglos erklären. Sie hätten damit ein Restmoment von zivilisatorischen Tabus anerkannt. Sie haben sich entschlossen, sich stolz zu bekennen: Die rote Front und die braune Front - sind wir!

Anmerkung (16.06.2010): Wir haben vorgestern einen Brief von Annette Sawatzki aus van Akens Büro erhalten, in dem es unter anderem heißt, wir hätten falsch zitiert, van Aken habe den von uns explizit als wörtliche Rede ausgegebenen Satz über das Nicht-Ausgrenzen von Faschisten so nicht gesagt. Diese Behauptung ist, wie anhand eines beigefügten Tonausschnitts belegt wird, wahr; unsere oben ursprünglich aufgestellte Behauptung, es handle sich bei dem Satz um eine wörtliche Wiedergabe des Gesagten, also falsch. Wir haben van Aken um Entschuldigung dieses Irrtums gebeten und tun dies hiermit auch bei unseren Leserinnen und Lesern. Im folgenden unsere Transkription des Aufzeichnungsausschnitts:

»Die dritte Frage, ob das eine strategische Persektive für die Linke ist, mit Rechtsradikalen zusammenzuarbeiten, da will ich eine Geschichte aus meinem Leben erzählen: In den 90er Jahren ist in Mölln einmal ein Haus mit türkischen Bewohnern angezündet worden, es sind mehrere Türken dort gestorben, sind verbrannt, das war ein faschistischer Angriff. Eine Woche darauf gab es eine große Demonstration in Mölln. Ich bin heute noch stolz darauf, daß ich auch auf dieser Demonstration war und auch auf diesem Lautsprecherwagen saß und bei dieser Demonstration waren auch faschistische türkische Gruppen. Da haben sich natürlich alle, die sich gegen Faschismus und Rassismus in Deutschland organisieren, aber es haben sich auch türkische Nationalisten da versammelt; ich finde es immer noch wichtig, dass ich auf dieser Demo war, dass antirassistische und antifaschistische Gruppen auf der Demo waren und ich finde es auch richtig, dass wir nicht mit Waffengewalt rechtsradikale Türken von dieser Demonstration an dem Tag entfernt haben und deswegen war es damals nie eine strategische Perspektive für mich mit Faschisten zusammenzuarbeiten und ist es heute nicht für mich.«

Daraus, dass dies die einzige Antwort auf unsere (im übrigen direkt an Paech gerichtete) Frage war, in der ja die Feststellung enthalten war, dass die Linkspartei gerade genau das tut, was van Aken für keine strategische Perspektive erklärt, indem er erzählt, wie er es schon einmal getan hat, ergibt sich unsere obige Zusammenfassung. (Dies ändert nichts daran, dass van Akens Forderung, unsere Paraphrase seiner Äußerungen nicht für seine wörtliche Rede auszugeben, vollkommen berechtigt ist.)

Weiter sagt Frau Sawatzki, es sei falsch, »dass das Schicksal der Opfer nicht interessiert hätte«, wozu wir nichts sagen können, da wir nicht wissen, was sie meint. Und viertens legt sie Wert auf die Feststellung, dass Paechs Äußerung zum Einsatz der Bundesmarine ironisch gemeint gewesen sei – was wir hiermit zu Protokoll geben.

Da es nicht unser Interesse ist, unserer Sicht der Dinge dadurch zu mehr Popularität zu verhelfen, dass mögliche Unterschiede zwischen Gesagtem und Verstandenen im Unklaren bleiben, fordern wir die Linkspartei auf, die Tonaufzeichnung der gesamten Veranstaltung vollständig der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.