Soll der Schwere der Niederlage nachgespürt werden, welche das kommunistische Projekt im 20. Jahrhundert in Deutschland erlitten hat, werden gewöhnlich ihre offensichtlichen Stationen ins Gedächtnis gerufen, wie die gescheiterte proletarische Revolution nach dem 1. Weltkrieg, die verschiedenen Aufstände in den Zwanziger Jahren und das Ausbleiben eines Bürgerkrieges 1933. Seltener Erwähnung in dieser Aufzählung findet der Kampf von exilierten deutschen Linken auf Seiten der spanischen Republik – denn obwohl dieser doch verloren ging, wurde er in der (partei-)kommunistischen Verarbeitung und der Volksfrontliteratur als heroisches Aufbäumen, mitunter sogar als Wiedergutmachung für das entsetzliche Versagen in Deutschland rezipiert. Die oft sehr deutsche Exilliteratur rund um den Einsatz der »Interkampfbrigaden« fand auch gelegentlich heraus, wem an der Niederlage in Spanien die Schuld zu geben sei: den Spaniern, da sie nicht mit den deutschen Sekundärtugenden wie Disziplin, Fleiß, Sauberkeit und Arbeitsethos ausgestattet zu sein schienen und somit nicht ins Menschenbild des Sozialistischen Realismus passten.
Begonnen hatte diese Entwicklung schon vor 1933, als die KPD versuchte, mit dem Nationalismus der Nazis zu konkurrieren und der sozialen die »nationale Frage« zur Seite zu stellen. Zu voller Blüte kam dieser Kurs jedoch erst nach dem Sieg des Nationalsozialismus. Mit der 1935 von der Komintern ausgerufenen Volksfrontpolitik wurde es den KommunistInnen zur Pflicht gemacht, die angeblich im »antifaschistischen Widerstand der breiten Volksmassen« verkörperte Nation gegen ihre Usurpation durch die Nazis zu verteidigen.
Birgit Schmidt beschreibt in ihrem Buch die Rolle der kommunistischen deutschen SchriftstellerInnen bei der Konstitution des Mythos vom »anderen Deutschland«. Zuerst dazu auserkoren, die Werte der bürgerlichen Klassik in den proletarischen Kanon zu überführen, vollzogen sie mehr und mehr eine Anpassung an den deutschen Nationalismus. Der deutsche Idealtyp konstituiert sich auch in dieser Literatur durch die Abgrenzung vom Gegentyp: neben den »disziplinlosen« spanischen Anarchisten bedrohen ausländische Frauen ohne Vaterlandsliebe und sexuelle Moral oder »jüdische Kleinbürger« den anständigen Kampf der meist männlichen Romanhelden um die Rettung Deutschlands und Europas vor den »verkommenen« Nazis.
Diese vermeintlich nur taktische Verteidigung des »anständigen« Deutschtums sabotierte die Einheit der zum Kampf gegen die nationalsozialistische Volksgemeinschaft entschlossenen rassistisch und politisch Verfolgten zugunsten der Anbiederung an vermeintliche deutsche Bündnispartner, die von Antifaschismus oder gar Revolution herzlich wenig wissen wollten.
Der Antisemitismus stellt nicht nur eine Beigabe zum modernen Djihadismus dar, sondern macht dessen Kern aus. Im Zentrum steht die 1928 in Ägypten gegründete Organisation der »Muslimbrüder«, die im Kontext der Weltwirtschaftskrise die Idee des Djihad und die Todessehnsucht des Märtyrers neu entdeckt und die die wichtigsten gegenwärtigen Djihad-Bewegungen - al-Qaida und Hamas - maßgeblich inspiriert hat.
Der Wahn der Islamisten generiert einen antijüdischen Krieg, in welchem nicht nur alles Jüdische als böse, sondern zugleich alles Böse als jüdisch halluziniert wird: Der »große Satan« USA wird nicht nur wegen seiner Unterstützung für Israel, sondern als das imginäre Zentrum einer materialistisch-egoistischen (und ergo: jüdischen) Weltordnung bekämpft.
»Dieser antijüdische Wahn ist keinem metaphysisch ›Bösen‹, sondern einer historisch und systematisch erklärbaren Sichtweise auf den Kapitalismus entsprungen. Er führt vor Augen, dass es auf die Zerstörungen, die der Kapitalismus als Weltsystem anrichtet, zwei mögliche Antworten gibt; Antworten, die keinerlei Gemeinsamkeit aufweisen, sondern sich prinzipiell unterscheiden. Erstens die aufklärerische und emanzipatorische Antwort, die eine humanere Gesellschaftsform jenseits des Kapitalismus neu zu begründen sucht und deshalb die positiven Errungenschaften des Kapitalismus anerkennen und in sich aufnehmen wird. Zweitens die reaktionäre und antisemitische, die bestimmte Erscheinungsformen des Kapitalismus, etwa das Prinzip von Individualität und Kommerz, mit ›Juden‹ im weitesten Sinne gleichsetzt und sich durch Vernichtung von ihnen ›befreien‹ will.«
Der Nationalsozialismus bedeutete nicht zuletzt eine Reorganisation libidinöser Energien: weg von Romeo und Julia und hin zu Führer und Vaterland. Weder hielt die patriarchale Moral ihm stand noch die Möglichkeit, diese lustvoll zu transzendieren. Die Entsexualisierung der Geschlechtlichkeit brachte den Männern wunschgemäß die saubere Wehrmacht, den weiblichen »Untermenschen« aber namenlosen Sadismus. Die deutschen Frauen schließlich büßten zwar eine der wenigen aktiven Positionen ein, die das väterliche Gesetz vorsieht: Repräsentantinnen des Begehrens zu sein; als Mädels, die sich nicht maskieren, als Mütter, die an der Produktionsschlacht im Wochenbett mitwirken, als riefenstahlharte, phallische Frauen hingegen durften sie zu Volksgenossen avancieren.
Die Frage stellt sich, in welchen psychischen Konstellationen sich diese Reorganisation der Sexualität und der Geschlechter abspielte - insbesondere, wie diese das Begehren der Mütter und der Töchter trugen und vielleicht bis heute tragen. Weiter wird zu klären sein, warum die Rede von den häßlichen Deutschen noch in der »Berliner Republik« mehr als nur metaphorisch zutrifft. Und wenn sich das Ressentiment gegen Liebe und Libertinage über (und gerade durch) die diversen sexuellen Revolutionen hinweg gehalten hat: Kann dann der libidinöse Genuß des Fit-for-Fun-Loveparaders und Großen Bruders allein seinem souveränen Selbst gelten und doch zugleich einer neuen volksgemeinschaftlichen Formation?
Letztes Update: 8.4.2003