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"Wenn die nationale Borniertheit überall widerlich
ist, so wird sie namentlich in Deutschland ekelhaft, weil sie hier
mit der Illusion, über die Nationalität und über
alle wirklichen Interessen erhaben zu sein, denjenigen Nationalitäten
entgegengehalten wird, die ihre nationale Borniertheit und ihr Beruhen
auf wirklichen Interessen offen eingestehen."
Karl Marx, Die deutsche Ideologie
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Ein deutscher Friedensfreund
Ludwig Watzal und die Deutsche Volksfront zur Befreiung Palästinas
Links und mutig kamen sie sich wohl vor, die InitiatorInnen der Veranstaltung
"Freiheit für Palästina" am 10.4.2002 an der Hamburger
Universität, und so gaben sie sich einen Ruck und die Aufgabe, angesichts
der jahrelangen antideutschen Zumutungen in Sachen Palästinasolidarität
mal wieder für Klarheit zu sorgen. Der Titel der Veranstaltung konnte
aus der guten alten Zeit übernommen werden und ein palästinensischer
Genosse war schnell gefunden. Der Trumpf scheint aber Ludwig Watzal zu
sein, mit dem die verhinderte trotzkistische Regierungsjugend ("Rot-Grün:
dafür haben wir Euch nicht gewählt", titelte Linksruck
1999, nachdem man vorher zur Wahl von Schröder aufgerufen hatte)
auf Städtetour geht.
Aus Watzal spricht deutsche Ideologie in all ihren Facetten, er bringt
die unheimliche Einheit von militantem Linkssein und Regierungspolitik
auf den Punkt: Auf der Website des katholischen Theologen prangt der Jerusalemer
Felsendom als Ausdruck der Solidarität mit den PalästinenserInnen.
Der Krieg gegen den Terror stellt Deutschland und Europa nicht etwa vor
eine Macht-, sondern eine "Gewissensfrage". Watzal, der
bestimmt nie etwas gegen die bundesdeutsche Terroristenjagd hatte, kommen
beim amerikanischen Krieg gegen Al-Qaida Erinnerungen an die "Bleierne
Zeit" des Herbst 1977 (Freitag, 16.11.2001, alle weiteren kursiven
Zitate von Watzal). Auch die täglich verhungernden 30.000 Kinder,
in deren Namen in Watzals Augen wohl die Anschläge auf das World
Trade Center begangen wurden, dürfen hier nicht fehlen. Dieser relativierende
Verweis fehlte ja auch nicht in den Flugblättern einer Linken, die
zwar hinter jedem politischen Machtakt der USA egoistische Profitinteressen
vermutet, die jedoch kein Problem damit hat, mit ihrem Idealismus eines
gerechten Kapitalismus im Fahrwasser deutscher Außenpolitik zu schwimmen.
Im Gegensatz zu seinen linken Freunden scheut sich Watzal jedoch nicht,
die Konsequenzen jenes Idealismus auszusprechen, der das den USA militärisch
und ökonomisch unterlegene Deutsch-Europa in die Rolle des "ehrlichen
Maklers" (FR 19.10.01) rückt. Für den Doktoranden der
Münchner Bundeswehruniversität und Redakteur der Beilage des
Bundestagsblättchens "Das Parlament" hat die deutsche Außenpolitik
im Krieg gegen Jugoslawien ihre Feuerprobe "auf dem besten Wege
in die Normalität" bestanden. Die Krönung dieser Normalisierung
besteht (nicht nur) für Watzal in der deutschen Intervention im Nahostkonflikt.
Unter diesen Voraussetzungen wird es zumindest kaum antiimperialistisches
Erschrecken auslösen, wenn sich im Verlauf des Abends herausstellen
wird, dass sich der in jeder Hinsicht Geladene dafür einsetzt, dass
"die USA und die EU [gegen Israel] wie im Kosovo militärisch
intervenieren" (Deutschlandradio, 12.03.2002). Noch gibt es da
aber einiges zu tun, denn: "die deutsche Diplomatie unter ihrem
Chef Joschka Fischer muss zum Jagen getragen werden" (Freitag,
15.02.2002).
Das Kollektiv, welches diese Forderung trägt, tritt dabei als Ansammlung
einsamer und mutiger Mahner auf – zum Beispiel in Gestalt von Peter Glotz,
der Watzals Buch "Frieden ohne Gerechtigkeit" für
"inopportun, wichtig und mutig" hält, weshalb die Zeitschrift
"Internationale Politik und Gesellschaft" findet: "Viele
Leute sollten sich diese Lektüre antun!". Was für Leute
da gemeint sind, spezifiziert, wie viele andere, die "Neue Gesellschaft/Frankfurter
Hefte" – auch nicht gerade eine Randerscheinung im politischen Spektrum:
Es gelte, "sich gerade als Deutscher die Literatur an[zu]tun".
Antizionismus der Neuen Mitte
Dass es der israelischen Bevölkerung zunächst um Frieden für
sich geht, also um sichere Staatsgrenzen und diplomatische Anerkennung
durch die arabischen Staaten genauso wie um ein Leben ohne ständige
Angst vor Selbstmordanschlägen und anderen Angriffen, schließen
Watzals Beschreibungen des Konfliktverlaufs a priori aus. Ganz im Gegenteil
ist ihm dieser Verlauf und die damit verbundene Gewalt schon der ganze
Inhalt des Zionismus, weshalb ihm dieser "ein Haupthindernis für
die Aussöhnung mit den Palästinensern" ist, das Israel
auszuräumen habe. (FR, 19.10.2001)
"Die Prämissen dieser Ideologie [des Zionismus] sind
anachronistisch und gehören ins Geschichtsmuseum", schreibt
er (Freitag, 16.02.2001). Sie gehören also genau dorthin,
wo deutsche Täterschaft zum Material gemacht wird, das sich die deutsche
Außenpolitik zur moralischen Legitimation neuer Souveränität
aneignet. Der linke Antizionismus der 70er Jahre setzte Israel zwanghaft
mit dem Nationalsozialismus gleich und befand sich damit im Gegensatz
zu einer staatsoffiziellen Position, die ein besonderes Verhältnis
der Bundesrepublik gegenüber Israel für sich in Anspruch nahm.
Watzal vertritt einen Antzionismus, der vor dem Hintergrund einer rot-grünen
Vergangenheitsbewältigung das ‚besondere Verhältnis zu Israel‘
verarbeitet hat. So erklärt sich Watzals Selbstverständnis als
solidarischer Kritiker der deutschen Regierungsdiplomatie.
"Das palästinensische Versailles"
Im Linksruck-Interview äußerte sich Watzal zur Frage, worum
es Israel im Friedensprozess gegangen sei, folgendermaßen: "Israel
wollte sein Besatzungsregime von die Unterdrückten Palästinensern
[Freudsche Fehlleistung im Original] rechtfertigen lassen und damit
den über 100jährigen Konflikt beenden. Das war auch die Absicht
der USA." Zunächst ist festzuhalten, dass es sich um merkwürdige
"Feinde des Friedens" (so einer von Watzals Buchtiteln)
handeln muss, denen es um eine Beendigung des Konflikts geht. Aber wer
weiß schon von der Perfidie der Juden, wenn nicht der mutige Nahost-Experte?
Zum Beispiel von folgender: "Israels Ministerpräsident hatte
den Mordbefehl kurz vor der Ankunft des amerikanischen Nahostvermittlers
Anthony Zinni erteilt. Es war ein kühl kalkulierter Schachzug, denn
die daraufhin erwarteten Terroranschläge bewahrten Sharon davor,
als Erster Konzessionen machen zu müssen. Nach den Anschlägen
war Israel wieder einmal Opfer des Terrorismus" (Deutschlandradio,
12.12.2001). Das haben sie ja mal wieder toll hingekriegt. Die vielzitierte
"Gewaltspirale" habe Israel komplett in der Hand. Der
israelische Einfluss reicht aber noch weiter: "Arafats Rolle [sei]
immer die eines Sicherheitschefs von Israels und der USA Gnaden [gewesen]",
heißt es in einem Artikel, der bezeichnenderweise überschrieben
ist mit "Das palästinensische Versailles" (Friz:
Zeitschrift für Friedenspolitik). Damit ist Camp David gemeint und
in dem Artikel wird die Al-Aqsa-Intifada als dasjenige Ereignis gefeiert,
in dessen Folge sich Arafat seiner "Rolle als Sicherheitschef von
Israels Gnaden" gerade noch mal entwinden konnte. Das war aber auch
zwangsläufig, denn: "Ein Diktatfriede, wie ihn Clinton und
Barak in Camp David durchzusetzen versuchten, kann nicht funktionieren"
(ebd.) .
Dem deutschen Friedensfreund geht es um die PalästinenserInnen nur
dann, wenn sie ihm als Chiffre von "die Unterdrückten"
dienen können, die also für die ewige deutsche Opfersehnsucht
genauso einzustehen haben wie fürs halluzinierte Subjekt des Klassenkampfs.
An dieser Stelle ergibt sich das Bündnis zwischen rot-grünem
und bewegungslinkem Antizionismus, denn die durchaus aussagekräftige
obige Fehlleistung ist vermutlich eher auf das Unbewußte der Linksruck-Redaktion
zurückzuführen. Weiter heißt es im Interview: "Israel
spielt in der US-Strategie die Rolle des ‚Feuerwehrmannes‘. Bei einer
Revolution der arabischen Bevölkerung gegen die konservativen Regimes
in Saudi-Arabien, Ägypten oder Jordanien ist Israel jederzeit in
der Lage, die herrschende Klasse dort zu stützen." Israel
soll also die "herrschende Klasse" von Staaten stützen,
die den jüdischen Staat teilweise nicht einmal anerkennen und sich
mit Israel formell im Kriegszustand befinden. Spätestens an dieser
abstrusen Idee sollte deutlich werden, dass Watzals Gemälde des Nahen
Ostens weniger der dortigen Situation als seiner eigenen nationalen Borniertheit
geschuldet ist.
Islamismus als soziale Bewegung ...
Sowohl die Hamas als auch die Hisbollah hält Watzal für eine
"primär soziale Bewegung" (Deutschlandradio, 12.12.2001),
deren Freund er zwar nicht ist, die er aber ganz gut verstehen kann. Keineswegs
ist das mit der "sozialen Bewegung" so gemeint, wie es einzig
einen Sinn ergäbe. Als Bestandsaufnahme und Kritik der Tatsache nämlich,
dass der Islamismus der Affirmation des durchaus repressiven Ergebnisses
der antikolonialen nationalen Befreiungsbewegungen entspringt. Im Widerspruch
zu ihrem emanzipativen Anspruch entwickelten diese sich zu Apologeten
des Kapitals als soziales Verhältnis und seiner politischen Form,
der Nation.
Wem wie Watzal die Homogenität der Nation, vermittelt durch die eigene
deutsche Identität, das selbstverständlichste der Welt ist,
der kann dementsprechend in den Handlungen der "Intifada-Kids"
"nur Selbstverständliches" entdecken. Was er findet,
ist die einzige vom Antikolonialismus übriggebliebene autoritäre
Forderung, "in einem eigenen Staat zu leben, der diesen Namen
verdient" (Freitag, 13.10.2000). Wer dermaßen auf den ideologischen
Nachvollzug der Entwicklung der letzten Jahrzehnte geeicht ist, wird nie
und nimmer in der Lage sein, die Besonderheit jenes Staates anzuerkennen,
die auch dem nationalen Befreiungskampf der PalästinenserInnen von
Anbeginn an einen besonderen Charakter aufdrückte. Israel wird unter
diesen Voraussetzungen immer als "rassistisches, kolonialistisches
Siedlungsprojekt" (Watzal in jedem zweiten Satz) apostrophiert
werden und niemals als Produkt einer konkurrierenden nationalen Bewegung
unter besonders schrecklichen Bedingungen, an denen die PalästinenserInnen
keine Schuld trugen.
Genau diese Bedingungen – die totale Negation des bürgerlichen wie
des sozialistischen Emanzipationsversprechens durch die nationalsozialistische
Judenvernichtung und die internationale Virulenz des Antisemitismus nach
1945 – sind es, die den Charakter des israelischen Staates und die antizionistischen
Ressentiments bis heute prägen. Wenn Watzal Israel als Siedlungsprojekt
denunziert, de-realisiert er damit, dass sein deutscher Staat,
der "selbstverständlich" ein "eigener" sein soll,
"der diesen Namen verdient", der Nachfolger desjenigen ist,
der den Jüdinnen und Juden dort, wo sie wohnten, keine Überlebenschance
ließ. Das israelische Staatsvolk ist das Produkt der Einwanderung
antisemitisch verfolgter JüdInnen und Juden aus aller Welt. Zum Vorwurf
gemacht wird hier denjenigen, denen unterstellt wurde, dass sie keinem
Staat gegenüber loyal sein könnten und diesen vielmehr zu zersetzen
trachteten, dass sie als Ausweg einen solchen gegründet haben.
Wenn Watzal "die Aushöhlung und Uminterpretation des Völkerrechts
zu Gunsten Israels" (FR 19.10.01) geißelt, unterschlägt
er, dass eben dieses Völkerrecht die Situation der Jüdinnen
und Juden, der sie angesichts des deutschen Vernichtungsantisemitismus
ausgesetzt waren, nicht vorsah. Wer zudem, wie die deutsche Tradition,
das Völkerrecht nicht als internationales Recht für die Verkehrsform
der Staaten untereinander hält, sondern für das Recht der damit
als homogene Einheiten identifizierten Völker, welche zu sein, hat
auch noch Teil an der Regression des bürgerlichen Rechts, in dessen
Vollzug sich das Ressentiment immer wieder produziert.
Im Antizionismus kommt das Ergebnis des Antisemitismus zur Anschauung
und nicht sein Grund, die verdrängte Lust der Herrschaft. Damit steht
die deutsche Öffentlichkeit samt ihrer Linken nicht alleine da, aber
zweifellos ist sie ein besonders bedürftiger Fall. Wenn der eigene
Antisemitismus als Bearbeiteter ins Museum verbannt scheint, herrscht
neue Unbefangenheit.
... unverantwortlicher AttentäterInnen
Watzals distanzierend rechtfertigende Klassifizierung von Hamas und Hisbollah
als "primär soziale Bewegung" beinhaltet mehr bzw. anderes
als ausschließlich Ignoranz dem Antisemitismus gegenüber. "Primär
sozial" steht hier für ‚im Grunde friedliebend’, aber mit übersteigertem
und daher sekundär gewalttätigem Überschuss im Freiheitsdrang.
Die "wahre Ursache" solle nicht verkannt werden. Seine
seltenen Erwähnungen palästinensischer Anschläge charakterisieren
diese als "sinnlos" und "unverantwortlich",
weil sie Israel ermöglichten, "die Palästinenser für
die Gewalt im Nahen Osten verantwortlich zu machen" (Freitag,
8.6.2001). Dabei werden nicht etwa Juden getötet, sondern "der
palästinensischen Sache [Schaden] zugefügt"
(taz, 5.6.2001).
Demgegenüber handelt es sich für Watzal bei den Siedlern permanent
um die Speerspitze des israelischen Staates, an der sich sein wesentlicher
Charakter zeige. Sie schaden der "israelischen Sache" nicht,
sondern bringen ihr wahres Wesen ans Tageslicht. "Primär"
ist hier nicht das Soziale, sondern die Gewalt. Dabei "scheint
Außenminister Shimon Peres nur noch ein Feigenblatt" in
"extremistischem Umfeld" (Freitag, 7.12.2001) zu sein,
und seine Machtposition nicht etwa den politischen Kräfteverhältnissen
geschuldet. Ähnlich geht Watzal mit der israelischen Friedensbewegung
sowie insbesondere mit den postzionistischen HistorikerInnen um, die bei
ihm ausschließlich als Munition gegen das Selbstverständnis
des Zionismus verwendet werden und niemals vorkommen als bedeutender Teil
der liberalen israelischen Öffentlichkeit, die aus humanistischen
Gründen mit den Bedingungen der Existenz des eigenen Staates Probleme
haben und an ihnen verzweifeln. Dass es derart aufgeklärte Geschichtsschreibung
nahezu ausschließlich in Israel gibt, verweist abermals auf die
oben skizzierte Besonderheit Israels, die es ungleich schwerer macht,
die Staatsgründungs- und andere nationalen Mythen jenseits der Grenzen
der Aufklärung in Blut und Boden zu meißeln. Etwas ähnliches
gibt es am allerwenigsten in Deutschland. Friedensbewegungen fürchten
hier nur, von Supermächten überrannt zu werden, Antinationalismus
heißt hier die Außenpolitik zwecks Zerschlagung anderer Staaten
und Geschichtsschreibung bringt es nur zur Reproduktion des Mythos in
Form der "Vergangenheitsbewältigung".
Die pathologisierende Entmündigung, die Watzal den militanten PalästinenserInnen
gegenüber vorbringt, um sie im Sinne von "einfach nur menschlich"
"sozial" nennen zu können, findet auf israelischer
Seite keine Entsprechung. Israel bzw. seine verschiedenen politischen
Strömungen sind kein "primär soziales" Phänomen,
sondern eines, welches dem "primär sozialen" entgegensteht
und es von allen Seiten her im Griff hat. Die Hamas handelt in Watzals
Diktion "unverantwortlich", also jeder subjektiven Verantwortung
enthoben, weil die Verantwortung für ihre Anschläge auch die
Israels sein soll. Israel ist ihm damit, und hier zeigt sich der antisemitische
Grund des Antizionismus, die Personifizierung dieser Entsubjektivierung.
Alle handeln hier als Marionetten einer aus sich selbst heraus bösartigen
Subjektivität – des Zionismus. Während die PalästinenserInnen
jedoch als dieser Subjektivität absolut Unterworfene erscheinen,
sind die Israelis mit ihr absolut identisch. Für Pathologisierung
etwa im vulgärpsychologischen Sinne – das israelische Sicherheitsbedürfnis
entspringe dem Trauma der Verfolgung und sei als solches verständlich
– ist da kein Platz. Bei Watzal ist die antisemitische Stereotypisierung
die Voraussetzung, um die PalästinenserInnen so zu malen, dass sie
ihm als "die Unterdrückten", also als die eigene verfolgende
Unschuld, erscheinen können.
Deutsche Vergangenheitsbewältigung und
"israelische Täter"
Die Opferphantasie ist aber nur die eine Seite der Projektion der Bedingungen
neuer deutscher Souveränität auf den Nahen Osten. In den 90er
Jahren hatten die Deutschen die Anerkennung der eigenen Täterschaft
zum Standortvorteil bei der Rückkehr zur souveränen Großmachtrolle
gemacht und genau dieser Maßstab wird nun, in Fortsetzung der alten
NS-Israel-Vergleiche, an Israel angelegt. "Warum Israel seine
Rolle als ‚Täter’ akzeptieren muß" erläutert
Watzal in der FR (19.10.2001) und die Antwort lautet selbstverständlich
einzig: weil sie welche sein müssen, denn nur das bringt deutschen
Frieden.
Noch in dem Versuch, es allen gleichzutun, macht Watzal Unterschiede:
"Beide sehen sich als Opfer. Dadurch wird eine gegenseitige Anerkennung
der Leiden verhindert. Israel muss seine Rolle in der Nakba (Katastrophe)
bei der Vertreibung der Palästinenser im Jahre 1948 anerkennen, die
Palästinenser müssen die Bedeutung des Holocausts für die
israelische Gesellschaft akzeptieren" (FR, 19.10.2001). Während
Israel die eigene Aktivität und damit das, was die PalästinenserInnen
zu Opfern gemacht hat, anzuerkennen hat, müssen diese lediglich eine
Bedeutung akzeptieren – nämlich die Bedeutung des Holocaust, der
es in Watzals Augen den israelischen Juden erlaubt hat, sich als Opfer
zu sehen. Damit der von den PalästinenserInnen inzwischen entwickelte
tätige Antisemitismus als "primär sozial" gedeutet
werden kann, muss an dieser Stelle explizit von ihm abgesehen werden.
Mit dieser Trennung verschreibt Watzal den PalästinenserInnen Nachhilfestunden
in Sachen Nützlichkeit deutscher Vergangenheitsbewältigung,
die in diesem Fall Israel zu leisten hat. Denn beendet ist die Vergangenheitsbewältigung
eben erst dann, wenn auch das letzte Zeichen weltpolitischer Konsequenzen
aus dem deutschen Vernichtungskrieg im Museum präsentiert werden
kann. Was innenpolitisch erledigt ist, steht außenpolitisch noch
aus, weswegen der jüdische Staat keiner sein darf. Als "Mythos"
möchte Watzal das "‚Recht auf Rückkehr nach Israel‘,
das jedem Juden, egal wo er lebt" zusteht, verstanden wissen
(Linksruck 124). Jüdinnen und Juden sollen also nicht mehr in Israel
vor Antisemitismus Zuflucht suchen dürfen.
Mit den Nachhilfestunden hat Joschka Fischer bereits begonnen. Dessen
Beziehung zu Arafat bei seinen letzten diplomatischen Kampfeinsätzen
erscheint Watzal so: "Ernst und schulmeisternd" sei Fischer
Arafat begegnet, "und dieser hörte wie ein braver Schuljunge
zu, der gerade bei einer Schummelei ertappt worden war" (Frankfurter
Hefte 7-8/2001). Was Fischer in Watzals Augen zu einem so glaubhaften
"ehrlichen Mittler" macht, ist seine Vergangenheit. Vorzuweisen
hat er sowohl die Teilnahme an einem PLO-Kongress, "auf dem man
die Vernichtung des Staates Israel beschloss, natürlich ohne Fischers
Zustimmung" (auch hier war wahrscheinlich wieder irgendeine Verantwortungslosigkeit
im Spiel), als auch pro-israelische Positionen aus seiner Realo-Zeit.
Es sind dies genau die Momente, aus denen Watzal seinen Neue-Mitte-Antizionismus
zimmert, nämlich der antiimperialistische Antizionismus der Neuen
Linken sowie der Philosemitismus, wie ihn die Realo-Grünen sich in
ihrer Zuwendung zur bundesrepublikanischen Staatsräson in den 80ern
angeeignet hatten.
Dass sich VertreterInnen einer derart regierungsnahen Position als mutige
EinzelkämpferInnen präsentieren, ist dabei – um zum Anfang zurückzukommen
– kein Produkt mangelhafter Selbsteinschätzung, sondern Teil eines
Programms, welches die Exekution der Bedingungen der Herrschaft zum Kampf
gegen sie verkehrt – ein zentraler Mechanismus des autoritären Charakters,
der die Macht immer dort fürchtet, wo er sie nicht ausübt. Deutschland
als die vermeintliche Gegenmacht zur jüdischen Weltverschwörung
ist hier das Paradebeispiel.
Wenn heute mit der Formulierung vom "palästinensischen Versailles"
die Gleichsetzung der Deutschen mit den PalästinenserInnen unter
genau diesen Vorzeichen betrieben wird, belegt dies einmal mehr, dass
die Bedingungen, unter denen Israel als jüdischer Staat unverzichtbar
ist, fortexistieren. Dass Deutschland wieder zu seinen eigenen Bedingungen
Großmachtpolitik betreiben kann, ohne auf anderen Widerstand zu
stoßen als den üblichen der kapitalistischen Konkurrenz, dass
die PalästinenserInnen sich von den internationalen Kräfteverhältnissen
ermutigt fühlen, die Intifada so fortzuführen wie sie es zur
Zeit tun, gehört dazu; ebenso eine Antirassismuskonferenz wie die
in Durban, deren TeilnehmerInnen vom grundsätzlichen Rassismus eines
jeden Staates zwar nichts wissen wollten, dafür aber Israel zum Staatsrassismus
deklarierten.
Solidarität mit Israel!
Deutschland halt’s Maul!
gruppe no birds, hamburg
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